Das Problem in den Schulen haben wir in Österreich auch?
Das Entscheidende ist, wie komme ich mit Musik in Berührung? Dass ich einmal eine Beethoven-Sinfonie höre, heißt noch nicht, dass ich die Musik verstehe und auch lieben gelernt habe. Am besten ist es, wenn man in der Familie musiziert oder selber ein Instrument lernt. Österreich ist das Musikland, wo wunderbare Komponisten ihre Werke geschrieben haben. Da gilt es, sich um diese Tradition zu kümmern, dass die Politik weiß, wir müssen diese Schätze pflegen. Musik ist mehr als eine Show, die man einmal anschaut und dann nach Hause geht. Musik prägt einen Menschen. Mir hat jemand geschrieben, dass er nach seiner Rückkehr in Amerika noch immer etwas aus der Fünften Mahler nachpfeift, die er zwei Tage zuvor bei uns in Salzburg gehört hat. Musik berührt das Herz und weckt Emotionen. Sie bewegt etwas in einem Menschen. Musik ist eine Sprache, die jeder versteht, ob man in Japan, in Amerika oder in Afrika aufgewachsen ist. Würde jeder Mensch Musik machen, sähe die Welt anders aus.
Als ich darüber einmal mit Nikolaus Harnoncourt sprach, sagte er, ich solle an die Nazis denken. Die ermordeten am Vormittag Menschen, am Abend spielten sie Bach.
Da hat er Recht. Bei den Nazis wurde Menschlichkeit zur Unmenschlichkeit. Aber in der Regel bringt einen Musik in andere Sphären. Wie könnte es denn sonst sein, dass ich, wenn ich Bruckner höre, der spirituell veranlagt ist, aber auch Beethoven, Mozart oder Mahler, wo die tiefsten Tiefen des Lebens erklingen, darüber nachdenke, warum mich das so erschüttert? Dann ist da auch diese Hoffnung, dieser Blick nach oben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch diese himmlischen Ideen nicht auch aufsaugt und sich dann die Frage stellt, was muss ich noch an mir verbessern? Aber schön, dass Sie Harnoncourt erwähnen. Ich habe ihn ja unglaublich geschätzt. Als er seine ersten Mozart-Sinfonien bei den Wiener Philharmonikern dirigiert hat und auf die Ursprünge zurückging, war das völlig neu für uns. Daran denke ich auch, wenn ich jetzt auf Tournee mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra bin. Mahler ist eine Fundgrube an österreichischer Volksmusik. Auch bei Bruckner höre ich oft von Musikern: „Was für ein schöner Walzer!“. Ich erkläre ihnen dann immer, dass das kein Walzer, sondern ein Ländler ist. Es ist mir als Dirigent fast zur Mission geworden, Orchestern beizubringen, wie österreichische Volksmusik gespielt wird.
Sie kombinieren in Ihren Konzerten, auch in Wien, Mahler mit John Adams, auf CD Bruckner mit Mason Bates, mit zeitgenössischer Musik, die sehr gefällig ist. Ist das eine Parallele zur Verarbeitung der Volksmusik von Bruckner und Mahler oder gibt es bei Komponisten wieder einen Hang zu tonaler Musik?
Man spürt ja auch, dass die Menschen eine Sehnsucht danach haben. Was Schönberg, die Zweite Wiener Schule und auch später die Avantgarde gemacht haben, war ganz wichtig. Mir ist wichtig, dass ein Komponist seine Gefühle und seine Art zu denken in die Partitur bringen kann. Das fasziniert das Publikum und auch uns Musiker! Es ist heute schwer für moderne Komponisten. Beethoven hatte es viel leichter, mit seinen scharfen Dissonanzen für Aufregung zu sorgen. Aber heutzutage sind wir an Dissonanzen gewöhnt. Übrigens hat John Adams „Short Ride in a Fast Machine“ für das Pittsburgh Symphony Orchestra geschrieben!
Wie ist denn das jetzt in Amerika mit den Wahlen eigentlich? Ich meine, wird das, glauben Sie, schwieriger, wenn Trump wieder Präsident wäre?
Der Ausgang der Wahlen wird auf die Orchester-Landschaft kaum Einfluss haben. Das war noch nie der Fall. Die Tradition in Amerika ist, dass sich private Geldgeber um die Kunst kümmern. Es ist auch schön zu sehen, dass zum Beispiel in unserem „Board“ des Orchesters in Pittsburgh Republikaner und Demokraten an einem Tisch sitzen, um zusammen das Orchester zu unterstützen und zu erhalten. Denn rein für den Kunstbetrieb gibt der Staat kein Geld, er finanziert vielleicht da und dort eine Reparatur. Aber die Kunst ist in privater Hand. Und da sind Demokraten und Republikaner vereint. Musik ist eine Sprache, die jeder versteht und jeden vereint. Das ist für uns das Entscheidende.
Das klingt nach einem Idealzustand.
Es ist nicht so, dass wir aus dem großen Topf schöpfen können. Wir müssen um jeden „Donor“, also um jeden Spender kämpfen. Deshalb ist Fundraising so wichtig. Manche Orchester können sich heute keine Tourneen mehr leisten. Einer unserer Sponsoren, Henry L. Hillmann, sagte einmal, überall wo das Pittsburgh Symphony Orchestra auftritt, wird unsere Stadt in die Welt getragen. Unsere Sponsoren nennen uns oft „the Ambassadors Pittsburgh“.
Jetzt regen sich auch immer öfter Klimaschützer gegen Orchesterreisen auf. Was sagt man diesen Leuten?
Nachhaltigkeit ist mir und wie jedem Menschen auf dieser Erde ein wichtiges Anliegen. Austausch ist enorm wichtig, in der Kunst wie auch im Sport. Unsere Fußballclubs Austria, Rapid, die müssen doch auch mit anderen konkurrieren können und sind deswegen viel unterwegs. Stellen Sie sich Fußball ohne Champions League vor!
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