Noch sind die Klagen über rauchende und knallende Silvesterfeuerwerke nicht verhallt, da erhitzen anderswo schon gigantische LED-Schirme und Drohnenschwärme die Gemüter. So eine Kugel wie „The Sphere“ in Las Vegas wollte Londons Bürgermeister Sadiq Khan nämlich nicht in seiner Stadt haben: Er brachte die Lichtverschmutzung ins Spiel, die die gigantische Konzert- und Eventhalle, die sowohl innen wie außen als riesiger LED-Schirm fungiert, verbreiten würde.
Die Betreiberfirma – ihr gehört u. a. auch der New Yorker Madison Square Garden – will nun in andere, „vorwärtsdenkende“ Städte weiterziehen. Derweil verbreitet die originale Riesenkugel in Las Vegas ihren Glanz – unter anderem mit „Maschinenhalluzinationen“: Es sind pulsierend-abstrakte Videos, für die der türkischstämmige Künstler Refik Anadol – bzw. eine von seinem Studio aufgesetzte Künstliche Intelligenz – verantwortlich zeichnet.
„Bildschirmschoner“
Nicht nur auf technischer, auch auf inhaltlicher Ebene wird über diese Bildwelten hitzig debattiert. Denn während Fans von „poetischen Algorithmen“ schwärmen und darin die adäquate Kunst für das digitale Zeitalter erblicken, fehlt vielen Kritikern die Ebene der kritischen Reflexion. Prononciert trat dies jüngst zutage, als der Kritiker und Pulitzer-Preisträger Jerry Saltz eine Installation Anadols im New Yorker Museum of Modern Art als „halbe Million Dollar teuren Bildschirmschoner“ bezeichnete. Der Schöpfer gab sich via X darüber erzürnt – hatte der Kritiker denn nicht verstanden, wie komplex die Installation, die sich aus der gesamten Bilddatenbank des Museums speist, angelegt war?
Eintauchen und posten
Unbestritten ist, dass sich die Betrachterperspektive auf Kunst massiv verändert hat: Der heutige Mensch starrt nicht mehr auf einen Fluchtpunkt, wie ihn die Bilder der Renaissance boten, und setzt sich auch nicht mehr mit einem konkreten Ding auseinander, wie es abstrakte Gemälde oder minimalistische Objekte boten. Das Publikum will stattdessen eintauchen – die „immersiven“ Ausstellungen, die zuletzt als Wanderzirkusse mit populären Namen („Monets Garten“ etc.) warben, erfüllen dabei eine Brückenfunktion.
Längst kennt das Genre aber eigene Stars wie das Kollektiv teamLab, das 2025 ein neues Museum für digitale Kunst in Hamburg einweihen wird, oder das niederländische Studio Drift, das zuletzt Schwärme aus Drohnen über dem New Yorker Central-Park kreisen ließ und für 2025 ein eigenes Museum in einer aufgelassenen Halle in Amsterdam ankündigte.
Kunstwerke zum Eintauchen sind dabei nicht neu, sie firmierten einst als „Environments“.
Im Münchner Haus der Kunst lassen sich derzeit Beispiele durchwandern, die Künstlerinnen zwischen 1956 und 1976 schufen („In anderen Räumen“, bis 10. 3.) – ohne digitale Mittel, mit Stoff, Plastikballons und einem Raum voller Gänsefedern. Was die Schöpferinnen nicht im Blick hatten, war, dass das Publikum heute fast ausnahmslos für Instagram-Posts in diesen Räumen posiert. Was das fotografierende Schauen mit uns macht, wird noch zu diskutieren sein.
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