Die Welt schaut zu, wie die Kinder sterben

Die Welt schaut zu, wie die Kinder sterben
"Eine Hand voller Sterne" des syrischen Autors Rafik Schami wird zum Start der Buchmesse Wien 100.000-mal verteilt.

Er ist ein Herr im besten Sinne: höflich, gebildet, seine Worte mit Bedacht wählend. "Erzählen ist meine Methode, das Geschriebene lebendig zu halten", sinniert Rafik Schami im Gespräch im Wiener Grand Hotel. "Bei Lesungen ist es nicht möglich, mehr als 20 bis 30 Seiten meiner Romane darzubieten. Also variiere ich. Ich spanne einen Bogen durch den Roman und hänge jeden Abend andere Lampions drauf."

Schami, der mit 25 Jahren wegen offener Kritik am Regime seine Heimatstadt Damaskus verlassen musste und in Deutschland lebt, ist der Autor des heurigen "Eine Stadt. Ein Buch“-Romans "Eine Hand voller Sterne", der im Rahmen der Stadt Wien-Aktion ab heute – zum Start der Buchmesse im Prater – zu 100.000 Exemplaren verteilt wird. "Ich war so überrascht und habe mich so gefreut, dass ich dafür ausgewählt wurde, das können Sie sich nicht vorstellen", so der 66-Jährige. Das Buch, eigentlich ein Jugendbuch, sei ja 25 Jahre alt: "Aber es ist plötzlich ganz aktuell geworden. Der Durst nach meines Damaszener Bäckerjungen nach Freiheit und der Mut zur Demokratie, das sind Dinge, die die Syrer auch heute antreiben. Es hat mich fast gerührt zu sehen, wie übertragbar meine damaligen Worte auf heute sind."

Schlaflos

Was sich derzeit in seiner Heimat abspielt, schockiert ihn: "Ich liebe Damaskus so sehr. Als Kind bin ich mit dem Fahrrad quer durch die Stadt gefahren und habe jeden Winkel erkundet, mit den Menschen geredet. Es bricht mir das Herz, wenn ich jetzt die Bilder aus Damaskus sehe, von all diesen Orten, die ich kenne. Und was mir noch schlaflose Nächte beschert, sind die toten Kinder. Die bereiten mir veritable Albträume. Das Schlimmste ist: Die Welt schaut einfach zu, wie die Kinder sterben".

Täglich telefoniere er mit seiner Schwester Marie, die in der Heimat geblieben ist. "Sie ist ein Wunder an Gelassenheit. Sie beruhigt dann mich und sagt: 'Mach' dir keine Sorgen'. Sie ist so stark."

Seit 1977 schreibt Schami in deutscher Sprache, ohne seine arabische Erzählseele zu verleugnen: "Orientalen reden sehr viel mehr als Deutsche oder Österreicher. Sie formulieren ausführlicher und poetischer. Literarisches Erzählen ist für sie eine Kunst, nämlich die des Nicht-Langweilens. Für mich ist das auch eine Art Kulturarbeit."

Seit Monaten ist Schami nun schon auf Tour, um vorzutragen, Preise entgegenzunehmen und seinen jüngsten Roman "Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte" (Hanser Verlag) zu bewerben. "Jetzt im Dezember ist Schluss, da ziehe ich mich wieder zum Schreiben zurück." Er brauche Muße "für die Schleifarbeit an den Worten: Die macht die Qualität eines Buches aus."

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