Die Toten Hosen: 40 Jahre zwischen Tränen und mafiösen Regimen
KURIER: Im Vorwort für das Booklet des Anthologie-Albums streichen Sie den 20. Oktober 1985, den letzten Auftritt mit ihrem Schlagzeuger Trini, als Schlüsselmoment in Ihrer Karriere heraus. Warum gerade den?
Campino: Das war die erste existenzielle Krise für die Band. Wir dachten, das ist das Ende und es gab reichlich Tränen. Weil wir nicht wollten, dass die Nacht vorbeigeht, sind wir nach dem Finale der Show wieder auf die Bühne gegangen und haben das ganze Programm noch einmal gespielt.
Das war aber bestimmt nicht die einzige Krise in den 40-Bandjahren.
Natürlich nicht. Das ist aber auch verständlich, denn in einer Fünfer-Gemeinschaft haben zwangsläufig nicht alle immer zum selben Zeitpunkt Erweckungsmomente. Aber die Probleme, die später kamen, konnte man irgendwie lösen.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Ende der 80er-Jahre hatten wir eine 18-Städte-Tour. Schon am vierten Tag bin ich kollabiert, hatte einen Stimmbandanriss und musste ins Krankenhaus, weil ich vier Tage nicht geschlafen hatte. Der Arzt sagte damals zu mir: „Du wirst sehr bald nicht mehr singen können. Und wenn du so weitermachst wie jetzt, lebst du keine zwei Jahre mehr!“ Das war für mich eine schallende Ohrfeige. Als ich aus dem Krankenhaus kam, wurde ich von den anderen isoliert, damit wir die Tour fertig bringen konnten. Wir waren damals nicht versichert und konnten uns einen Ausfall nicht leisten. Fünf Minuten vor dem Konzert wurde ich zur Band gelassen und nach der Show direkt von der Bühne runter in den Wagen eskortiert. Ich musste in anderen Hotels schlafen, damit ich nicht auf die anderen treffe, die fröhlich weiterfeierten. Das war eine richtig traurige Tournee.
Und was war der Erweckungsmoment?
Weil ich war der Einzige war, der nüchtern blieb, hörte ich zum ersten Mal, wie schlecht die anderen spielten. Das führte zu Spannungen und ich berief ein Krisengespräch ein, in dem ich die anderen konfrontierte: „Vielleicht merkt ihr das gar nicht, aber wir spielen unter unserem Niveau. Wir sind nüchtern im Proberaum viel besser. Ich halte das nicht länger aus. Wir müssen einen Weg finden, da wieder zusammenzukommen!“ Deshalb gab es die Verabredung, dass die richtige Party ab sofort erst nach den Konzerten losginge. Das hat aber natürlich auch nicht sofort geklappt. Es gab und gibt immer mal wieder Krisenmomente, und bedarf manchmal viel Arbeit, um wieder in die Spur zu finden. Bei uns hat das zum Glück immer geklappt.
Vielleicht auch deshalb, weil Ihnen die Freundschaft immer wichtiger war als die Karriere?
Auf jeden Fall. Schon die Art, wie wir die Bandmitglieder ausgesucht haben: Andi hielt vor unserer ersten Probe nie ein Instrument in der Hand. Er hatte eine Zeit in Amerika gelebt, sich dort als Souvenir einen Bass gekauft, aber nie darauf gespielt. Tatsächlich kam er selbst einige Jahre, nachdem wir schon unterwegs waren, schweren Herzens in den Proberaum und sagte: „Ich steige aus, ich schaffe das nicht, mir fehlt das Talent, ich halte euch nur auf!“ Wir mussten ihm gut zureden, dass er weitermacht. Wir sagten ihm, dass das egal ist, solange er sich bemüht. Vorher hatten wir einen Gitarristen, Walter, der dermaßen schlecht spielte, dass wir seine Gitarre gar nicht mehr einstöpselten, damit man ihn bloß nicht hörte. Aber er sah toll aus und war deshalb festes Bandmitglied. Die Dauer der Konzerte hing immer von Walter ab: Wenn er in die Anlage oder ins Schlagzeug fiel, war die Show zu Ende. Von diesem Chaosfaktor verabschiedeten wir uns, als Walter die Band verließ. Breiti, der Neue, lernte dann richtig zu spielen.
Das war ja ihr Schulfreund . . .
Ja, Breiti war mein Klassenkamerad. Wir haben ihn auf Filmaufnahmen vom Abschiedskonzert meiner ersten Band ZK gesehen, wie er am Bühnenrand stand und mitfeierte. Trini fragte: „Was ist denn mit dem verrückten Langhaarigen links in der Ecke, der sieht toll aus, kann der nicht irgendwas?“ Als ich ihm antwortete, dass das mein Klassenkamerad sei und er Gitarre spielen könne, wurde Breiti vom Fleck weg engagiert.
Der Name Die Toten Hosen sollte eine Provokation sein?
Als wir uns Gedanken über den Bandnamen gemacht haben, sollte jeder mögliche Kandidaten auf einen Zettel schreiben. Beim Vorschlag "Die Toten Hosen“ fingen alle zu lachen an. Da spielte auch die Vorstellung mit rein, dass wir in Clubs anrufen und fragen, ob wir spielen könnten und auf die Frage, wer wir seien, antworten "Wir sind Die Toten Hosen“. Klar bestand die Gefahr, dass die Hälfte aller Veranstalter sofort auflegen würde, aber das war uns egal. Wir fanden den Namen gut, weil wir nicht hochstapeln wollten. Da können die Leute nicht ihr Geld zurückverlangen, wenn sie enttäuscht sind, denn wir haben nicht zu viel versprochen.
Sie sind trotzdem berühmt geworden und haben fast überall auf der Welt gespielt. Neben Argentinien, Australien und China auch in Myanmar. Wie war es dort?
Fantastisch. Wir waren in diesem kurzen Zeitfenster des Friedens dort. Ich war noch nie in einem Land, das so freundlich ist. Wir haben unglaublich liebe Menschen getroffen. Man hatte das Gefühl, die Leute dort wissen überhaupt nicht, was Betrügen oder Diebstahl ist. Einer aus unserer Reisegruppe hat sein Telefon im Taxi verloren. Der Taxifahrer hat einen halben Tag versucht, herauszukriegen, in welchem Hotel wir sind und kam abends vorbei, um es zurückzubringen. Auch die Begegnungen mit den örtlichen Punks war großartig.
Gibt es dort denn so eine Szene?
Ja, die gibt es, allerdings haben es die Punks dort nicht einfach wegen all der Repressalien durch die Regierung. Wenn wir solche Länder bespielen, nehmen wir immer vorher Kontakt zu Leuten in der Underground-Szene auf und fragen sie, ob sie es gut finden, wenn wir bei ihnen spielen oder ob sie uns eher empfehlen, das nicht zu tun, weil man damit vielleicht den Obrigkeiten in die Karten spielt. Die Leute in Myanmar fanden es toll, weil sie auch mitspielen und ihre Lieder zum ersten Mal einer größeren Öffentlichkeit präsentieren konnten. Es ist aber sehr traurig, zu sehen, in welchen Zustand dieses Land wieder zurückgeschlagen wurde. Die Militärherrschaft hat die für kurze Zeit erkämpften Freiheiten zunichte gemacht.
Tadschikistan, wo sie auch gespielt haben, ist ja auch ein autoritär regiertes Land.
Die brauchen keine Unterwelt, weil die Regierung selbst schon absolut mafiös ist. Die Menschen dort halten stets kleine Päckchen mit Geld bereit für den Fall, dass sie zum Beispiel in eine Verkehrskontrolle geraten. Dann dreht man die Scheibe runter, wirft den Behörden das Geld zu, ruft „Für den Tee!“ und fährt weiter. Wer nicht zahlen möchte, wird kontrolliert, bis irgendetwas gefunden wird, was eine Strafe wert ist. Das sind absolute Piraten.
War es gefährlich?
Wir sind mit dem Bus in das Land gefahren und ein Beamter vom BND reiste mit, um uns zu beschützen. Er hat kurz vor der Grenze unseren Bus gestoppt und uns instruiert, unsere Computer in seinem Kofferraum zu verstauen, verbunden mit der Aussage: „Wenn einer der Grenzer eure Computer haben will, bekommen wir die nie wieder.“ Er hatte einen Diplomatenwagen und wurde nicht durchsucht, also haben wir alle Wertgegenstände bei ihm verstaut und kamen mit seiner Hilfe gut über die Grenze.
Dort kam aber der Polizeipräsident auf die Bühne . . .
Wir waren schon Nachmittags nach dem Soundcheck total erstaunt, dass plötzlich ein ganze Truppe des Militärs einlief. Alle zehn Plätze setzte sich dann ein Soldat in die Reihen. Das war das erste Rockkonzert in Tadschikistan überhaupt und die Offiziellen wirkten entsprechend nervös. Das Konzert ging los und alles war wunderbar. Dann fingen aber die Leute zu tanzen an. Das hat den Polizeipräsidenten, der hinter der Bühne stand, die letzten Nerven gekostet. Als ich dann auch noch mein T-Shirt auszog, wurde es dem Guten zu viel. Er schrie unseren Tour Manager Kiki an: „Wenn der sich jetzt noch die Hosen auszieht, breche ich das Konzert ab!“ Er kam dann auf die Bühne und wollte den Leuten wohl zurufen, dass sie sich wieder hinsetzen müssen. Ich habe ihn aber umarmt, auf beide Wangen geküsst und ihn dem Publikum vorgestellt mit den Worten: „He is my friend“. Da konnte er überhaupt nichts mehr sagen, war völlig verdattert und ging wieder von der Bühne. Die Leute haben sich natürlich wahnsinnig amüsiert.
Im Vorwort des Albums schreiben Sie auch, Sie freuen sich auf neue Abenteuer auf weiteren Tourneen. Wo sind die Orte, wo sie noch nicht gespielt haben, wo sie gerne auftreten würden?
Oh, da gibt es viel zu viele. Wir spielen immer wieder gerne in Argentinien. Neue Ort zu finden, wird jedoch immer schwieriger, weil wir als Band ja immer den Untergrund und die Subkultur suchen. Mit 20 oder 30 Jahren ist man da natürlich viel verbundener. Je älter wir werden, desto schwieriger wird es, in diesem Sinne neue Länder zu entdecken. Ich glaube, in Zukunft geht es eher darum, die Freunde, die wir gemacht haben, wieder zu besuchen und mit ihnen eine gute Zeit zu haben.
Sie stehen immer kompromisslos zu Ihren Werten, auch wenn Sie danach manchmal dafür angegriffen werden. Wünschen Sie sich deshalb, nicht in der Öffentlichkeit zu stehen?
Das Gefühl, nicht in der Öffentlichkeit stehen zu wollen, habe ich öfter. Aber wenn es einen Streit oder so etwas gibt, und du ahnst, du könntest jetzt er Einzige sein, der aufsteht und etwas sagt, dann ziehe ich es durch.
Wie beim Echo, als Sie darauf hinwiesen, dass die Rapper Kollegah und Farid Bang einen Echo für Veröffentlichungen mit gewaltverherrlichenden und antisemitischen Inhalten bekommen haben?
Zum Beispiel, ja. Ich habe mich dabei nicht gut gefühlt, wusste aber, dass ich mich noch viel schlechter fühlen würde, wenn ich nichts sage. Das ist eine Art Zivilcourage, die viele Menschen haben, aber bei mir fällt es halt auf, weil ich in der Öffentlichkeit stehe. Ich bin ich so erzogen worden, dass ich in solchen Momenten nicht die Klappe halte und tu einfach das, was meine Eltern mir fürs Leben mitgegeben haben. Den anderen in der Band geht das genauso. Dazu kommt, dass uns die Punk-Bewegung natürlich in diese Richtung geprägt hat mit Bands wie The Clash und Veranstaltungen wie „Rock Against Rascism“. Dass es um mehr als Musik geht, um Werte, die man zu vertreten hat und dass man nicht schweigen darf, wenn etwas fürchterlich schief läuft, hat mir die Punkbewegung beigebracht.
ALLE INFOS ZUM KURIER-KONZERT
Verlegung
Ursprünglich sollte das „Alles aus Liebe - 40 Jahre Die Toten Hosen“-Wien-Konzert am 2. Juli in der Krieau stattfinden. Wegen Zeitverzögerungen bei Bauarbeiten um und auf dem Gelände und damit einhergehenden Problemen der Veranstalter mit der nötigen Infrastruktur für die Show, wurde es in das Ernst-Happel-Stadion verlegt.
Karten
Der Vorteil der Verlegung: Für das eigentlich ausverkaufte Konzert gibt es jetzt wieder Karten. Durch den Ortswechsel kann man in allen Ö-Ticket-Vorverkaufsstellen, über oeticket.com und tickets.arcadia-live.com Sitzplatz-Tickets kaufen. Bereits gekaufte Karten behalten für das Ernst-Happel-Stadion Gültigkeit.
Die Show
Die Toten Hosen haben als Gäste für das Event Feine Sahne Fischfilet und Schmutzki & Bob Vylan verpflichtet. Und die Hosen selbst spielen 30 Songs, darunter alle Hits von „Tage wie diese“ über „Steh auf, wenn du am Boden bist“ bis hin zu „Hier kommt Alex“. Dazwischen gibt es die besten der neuen Stücke des Anthologie-Albums zu hören.
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