Und das liegt ganz zentral an Kirill Petrenko, dem Generalmusikdirektor der Münchener Oper, der das Werk des bei der Uraufführung 1920 erst 23 Jahre alten Korngold als das ausweist, was es ist: ein mehr als dreistündiges Meisterstück.
Natürlich war Korngold kein Revolutionär wie Schönberg, Alban Berg oder andere Zeitgenossen. Aber man macht es sich zu leicht, wenn man ihn als Konservativen, als übrig gebliebenen Romantiker, als Zu-Spät-Geborenen darstellt. Korngold ist ein Melodiker ersten Ranges, der auch der Gesangsstimme zu ihrem Recht verhilft, er ist ein fabelhafter Instrumentierer und dramatischer Erzähler. Und es ist nur als Kompliment zu verstehen, dass seine Genialität auch in Hollywood nach dem Fachwechsel zum Film so sehr geschätzt wurde (ein großer Verlust für das europäische Kulturschaffen, wie bei so vielen Vertriebenen).
In der „Toten Stadt“ trifft Wiener Walzer auf Wagner, Strawinsky auf Strauss, Puccini auf Weill. Und all das ist nie kopistisch, sondern höchst originär, sehr originell, viel Späteres vorwegnehmend.
Warum diese Zusammenfassung seines Stils? Weil all das in den Händen von Petrenko mit seinem famosen Orchester hörbar wird. Petrenkos Gestaltung ist detailliert, wie sie nur sein kann, da wurde jeder Takt analysiert, ohne dabei den großen Bogen zu zerstören. Die Farbenpracht ist exemplarisch, die dynamische Balance perfekt, jedes Tempo schlüssig.
Man kommt, obwohl es ganz schön viel zum Schauen gibt, aus dem begeisterten Hören nicht heraus. Und erahnt wohl nur im Ansatz, wie viel Studium und Probenarbeit dahinter steckt.
Dass es dazu noch mit Jonas Kaufmann den größten Tenor unserer Zeit mit einer neuen Partie zu erleben gibt, schafft ein glücksvolles Opernerlebnis. „Glück, das mir verblieb“, heißt es im sentimentalen Lied, dem großen Hit dieser Oper. Hier trifft es zu.
Der Paul, den Kaufmann sich erarbeitet hat, braucht einen wagnerhaften Heldentenor, mit Wortdeutlichkeit, durchaus Italianità, Schmelz, Sentiment, Puccini-Kantilenen und Attacken. Also die eierlegende Wollmilchsau. Kaufmann passt perfekt in diese Rolle und gestaltet sie so, dass man sich nicht vorstellen kann, dass irgendjemand in der Vergangenheit oder Zukunft das besser machen hätte können (könnte).
Auch Marlis Petersen ist eine ideale Besetzung für die Pauls verstorbener Frau zum Verwechseln ähnlich sehende Marietta, die ihm den Kopf verdreht. Sie turnt körperlich und stimmlich bezaubernd durch diese Rolle. Andrzej Filonczyk wird in die Partie des Frank/Fritz wohl noch hineinwachsen.
Die Inszenierung stammt ursprünglich aus Basel und von Simon Stone. Sie spielt in der Gegenwart, in einem Reihenhaus mit Räumen, die sich raffiniert verschieben lassen und ihr Eigenleben entwickeln. Stones Arbeit, in München von Maria-Magdalena Kwaschik einstudiert, ist in ihrem Timing sehr musikalisch und ergibt eine heutige Betrachtung von Trauerarbeit und Psychosen.
Dass „Die Tote Stadt“ in München mehr oder weniger im Doppel (also an zwei aufeinander folgenden Abenden) mit dem nur fünf Jahre später uraufgeführten „Wozzeck“ präsentiert wird, beweist eine exzellente Planung. In Bergs Oper singt noch dazu Christian Gerhaher erstmals die Titelpartie – höchst sensibel, niemals zu stark forcierend, besonders schön, darstellerisch von Anfang an zerbrechlich und gefährlich. Man kann sich darauf freuen, wenn man diesen Künstler als „Wozzeck“ hoffentlich bald auch in Wien erleben darf.
In der sehr guten (elf Jahre alten) Inszenierung von Andreas Kriegenburg ist Gun-Brit Barkmin eine berührende Marie. Allerdings bleibt „Wozzeck“ unter der Leitung von Hartmut Haenchen musikalisch doch recht bieder. Der Dirigent macht den Unterschied, nicht nur hier.
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