Die Stars und ihre Arbeitgeber

Eddie Redmayne in "Danish Girl"
Oscar-Schaulauf am Lido: "The Danish Girl" mit Eddie Redmayne setzt auf großes Gefühlskino; und der Russe Alexander Sokurov gilt als erster Löwen-Favorit.

Am ersten Wochenende des 72. Filmfestivals kam in Venedig auch der erste Regen. Er schwappte eine weitere Welle an Stars an den Lido und sorgte für Menschenaufläufe vor dem Kinopalast.

Zum Beispiel Johnny Depp: Noch mit 52 bringt er seine Fans zum Heulen. Schluchzende Mädchen hingen an der Absperrung, die sie vom roten Teppich trennten. Von sechs Uhr morgens hatten sie darauf gewartet, dass Depp zur abendlichen Premiere seines Gangster-Thrillers "Black Mass" an ihnen vorbeigehen und Autogramme verteilen würde.

Dabei möge er den Begriff "Fan" nicht, hatte Depp zuvor den Journalisten auf der Pressekonferenz mitgeteilt: "Für mich sind Menschen, die für meine Filme Geld ausgeben, meine Arbeitgeber. Sie bezahlen meinen Job. Ich danke an dieser Stelle meinen Bossen!"

Nichts zu danken. Immerhin übernahm Depp in "Black Mass" (Kinostart: 16. Oktober) von Scott Cooper endlich wieder einmal eine ernst zu nehmende Rolle. Er spielt den Gangster James Bulger, einen Bostoner Super-Mafioso, der jahrelang als FBI-Informant tätig war.

Um Bulger möglichst ähnlich zu sehen, bekam Depp eine Stirnglatze verpasst und blitzblaue Kontaktlinsen auf die Augen gedrückt. Nicht "Black Mass", sondern "Bad Mask" hätte man diesen Film nennen sollen, beschwerte sich eine Zuseherin über Depps etwas befremdliches Erscheinungsbild. Tatsächlich sieht die Stirnglatze auf den ersten Blick eher nach Stirnglatzenprothese aus.

Auch die stechend blauen Augen erinnern mehr an einen Vampir als an einen Gangster. Jedenfalls wirkt Depp gruselig genug, um als soziopathischer Gangster in Coopers solidem Mafia- Thriller, der allerdings nie an Scorseses beste Filme in diesem Genre heranreichen kann, zu faszinieren.

Transsexuell

An der Seite von Johnny Depp auf dem Teppich befand sich auch seine junge Ehefrau und Schauspielerin Amber Heard. Ihre große Stunde schlug bei der Premiere von "The Danish Girl". Sie spielt darin zwar eine kleine, aber temperamentvolle Rolle als Ballerina.

Im Zentrum von "Danish Girl" steht aber ausnahmslos Eddie Redmayne, der zuletzt für seine Darstellung als Stephen Hawking mit dem Oscar belohnt wurde. Auch in "The Danish Girl" geht der junge Brite bis zur – man möchte fast sagen: narzisstischen – Selbstentäußerung. Als dänischer Maler Einar Wegener entdeckt er plötzlich die Frau in sich.

Es beginnt auf einem Ball: Einar lässt sich von seiner Ehefrau Gerda dazu überreden, sich als Frau zu verkleiden und als Lili aufzutreten.

Doch einmal zum Leben erwacht, lässt sich die Rolle nicht abstreifen: Lili will nicht mehr Einar sein. Operative Hilfe bietet ein deutscher Arzt (patent: Sebastian Koch). Er führt eine der ersten Geschlechtsumwandlungen der Geschichte durch.

Oscar-Schaulauf

Bei der Pressekonferenz von "The Danish Girl" wurden Tom Hooper und sein Team mit jubelndem Applaus begrüßt. Gut möglich, dass sich in Venedig ein Hauptpreis für Eddie Redmaynes Schauspielkunst ausgeht. Und natürlich dient das Filmfestival auch als prominenter Schaulauf für das beginnende Oscar-Rennen. Einen Oscar erhielt Hooper bereits für "The King’s Speech"; und auch "The Danish Girl" ist ein typischer Anwärter: Geschmackvoll kostümiertes, wohlmeinendes Gefühlskino, kompetent gespielt und konventionell erzählt. Jede emotionale Regung auf der Leinwand unterlegt Hooper mit Geigenmusik, die Sitznachbarin im Kino muss sich die Tränen aus den Augen wischen. Ein Film, wie er der Oscar-Academy gefallen wird.

Dass es Festivalchef Alberto Barbero – zumindest was das Staraufgebot betrifft – gerne mit Cannes aufnehmen würde, scheint der US-Beitrag "Equals" von Drake Doremus zu beweisen. "Equals" brachte zumindest "Twilight"-Star Kristen Stewart an den Lido. Eine andere Erklärung für die Aufnahme dieses manikürten, ganz in weiß gehaltenen Sci-Fi-Filmes in den Wettbewerb lässt sich kaum finden. Doremus erzählt von einer Zukunft, in der Gefühle verboten sind – und von zwei Menschen , die sich ineinander verlieben. Stewart, eine ausgezeichnete Schauspielerin, kann auch noch der pubertärsten Liebesgeschichte Nuancen verleihen. Doch in Doremus’ futuristischer Fadesse steht sie auf verlorenem Posten.

Favorit

Von der Kritik mit großem Enthusiasmus wurde hingegen "Francofonia" des Russen Alexander Sokurow aufgenommen. Sokurov hat 2011 mit "Faust" – mit dem österreichischen Schauspieler Johannes Zeiler als Titelhelden – den Goldenen Löwen bekommen. In "Francofonia" beleuchtet Sokurov das deutsch-französische Verhältnis während der Nazi-Zeit und befragt den Stellenwert von Kunst in Zeiten des Krieges. Eine dringliche Frage in Zeiten wie unseren.

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