Die Schulkollegen spielen "Pest", niemand darf anstreifen
Er ist schlagfertig, witzig und hart im Nehmen, dieser August Pullman.
Ein Bub von zehn Jahren, der durch eine seltene Genmutation ein entstelltes Gesicht hat. „Ein Gesicht wie ein Schlachtfeld“, so beschreibt „Auggie“ sich selber: „Was immer ihr euch vorstellt, es ist schlimmer.“
Aber unterkriegen lässt er sich deshalb nicht: Er hat sich gewöhnt an die erschrockenen Blicke der Menschen, die ihn zum ersten Mal sehen.
Weint nicht mehr tagelang, wenn seine Mitschüler mit ihm Pest spielen – bei dem keiner an ihn anstreifen darf.
Schließlich hat Auggie eine Familie, die eisern zu ihm hält: Mom und Dad, seine Schwester Via und die Hündin Daisy, die nichts lieber tut, als zärtlich über sein Gesicht zu lecken. Hunde machen in ihrer Liebe keinen Unterschied zwischen schönen und weniger schönen Menschen.
Es ist ein Füllhorn an Liebe und Menschlichkeit, das die New Yorker Autorin Raquel J. Palacio in „Wunder“ über uns ausschüttet.
Ein Plädoyer für eine tolerantere Sicht auf Außenseiter, die eigentlich gar keine mehr sind, wenn man sich näher mit ihnen befasst.
Natürlich wird Auggie als Neuling auf der Beecher Prep Middle School gemobbt. Natürlich ist er ein Opfer für die fiesen Kinder, die es in jeder Klasse gibt. Aber es gibt auch die anderen, die Charakterstarken, die sich nicht mitreißen lassen von den Rädelsführern.
Zwei von denen gewinnt Auggie bald als Freunde.
Seid freundlich!
Palacio, die jahrelang als Art Directorin und Buchcover-Designerin in US-Verlagen arbeitete, weiß, wie sie am besten den Nerv der Jugendlichen trifft: Die Mutter zweier Söhne schreibt in der Sprache, die Kinder und Eltern sprechen.
Sie kennt sich aus mit „Star Wars“ und „Gregs Tagebuch“. Und sie weiß, wie wichtig das familiäre Nest für die oft rotzfrechen Küken in diesem Nirvana zwischen Kindheit und Erwachsensein ist. „Sei immer freundlich“ ist Palacios oberste Maxime, „freundlicher, als du unbedingt sein musst“.
Irgendwie wird man den Eindruck nicht mehr los, dass sie selbst danach lebt und bisher damit ganz gut gefahren ist.
Und bitte nicht vergessen, ein Packerl Taschentücher bereitzulegen. Die könnte man brauchen.
KURIER-Wertung: ***** von *****
INFO: Raquel J. Palacio: „Wunder“. Aus dem Englischen von André Mumot. 384 Seiten. Hanser Verlag. 17,40 Euro. Ab 11 Jahren.
Ein Punk war er selber. Damals, vor 35 Jahren. Da hat Kevin Brooks Gitarre in einer Punkband gespielt und sich nichts gepfiffen. Arbeitete tagsüber als Tankwart, im Londoner Zoo und in einem Krematorium, um sein Studium zu finanzieren.
Nachts ließ er es krachen.
Brooks, am 30. März 54 geworden, weiß also, wovon er schreibt, wenn er von einer Liebschaft in der exzessiven britischen Musikszene der 1970er-Jahre erzählt. Von Lili, einer fanatischen Bassistin der Band „Naked“, die sich Hals über Kopf in den neuen Kollegen William verliebt. Von der Wichtigkeit der Politik in der damaligen Zeit:
Wer keine Meinung hatte, der war out. Zum Nordirland-Konflikt etwa, der das Land in Atem hielt. William stammt von dort und verbirgt vor Lili ein dunkles Familiengeheimnis.
Brooks,der mit „Martyn Pig“ und „Lucas“ zum Star der Jugendliteratur-Szene wurde, hat seinen ganz eigenen Stil, der einen in eine Geschichte zieht. Er spricht jedes Thema an, und sei es noch so heikel: Gewalt, Drogen, Verbrechen. „Alles ist da, und Gewalt ist sowieso etwas Elementares“, meinte Brooks lapidar im KURIER-Interview vor ein paar Jahren. Wer ihn bisher mochte, wird auch dieses Buch mögen. Brooks ist ein Kultautor – und das nicht nur unter Jugendlichen.
KURIER-Wertung: **** von *****
INFO: Kevin Brooks: „Live Fast, Play Dirty, Get Naked“. Aus dem Englischen von Uwe- Michael Gutzschhahn. 480 Seiten. dtv premium. 15,40 Euro. Ab 14 Jahren.
Der beste Freund, den man sich denken kann. Seit sechs Jahren sind sie unzertrennlich: der achtjährige Max und sein Freund Budo. Keiner versteht Max so gut, und keinen lässt er so nahe an sich heran. Nähe zu anderen Menschen ist ihm nämlich ein Gräuel: Max hasst Berührungen und Blickkontakt, meidet Gespräche und braucht eine klare Ordnung und Routine.
Max hat Budo, seinen besten Freund, erfunden.Wie der berühmte Freund Harvey ist er für die anderen unsichtbar – aber für Max unverzichtbar. Budo steht ihm in brenzligen Situationen stets zur Seite und gibt ihm Tipps. Bis er irgendwann nicht mehr gebraucht wird.
Wie bereichernd es ist, sich nicht von negativen Dingen leiten zu lassen und sich die Welt und ihre Bewohner schöner zu denken, vermittelt der amerikanische Volksschullehrer Matthew Dicks hier mit viel Sensibilität und Komik. Die Lehrerin Mrs. Patterson, mit der der kleine Max so seine liebe Not hat, scheint Dicks vom Verhalten her eine gut vertraute Kollegin zu sein.
Ein leicht zu lesendes Buch, das die Macht der Fantasie beschwört. Auch wenn Budo, der als Erzähler durchs Buch führt, nur imaginär ist: Er ist so, dass ihn jeder gern zum Freund haben möchte.
KURIER-Wertung: **** von *****
INFO: Matthew Dicks: „Der beste Freund, den man sich denken kann“. Aus dem Englischen von Cornelia C. Walter. 448 Seiten. Bloomsbury 20,60 Euro. Ab 11 Jahren.
Als Royce mit seiner Mutter zu einer Reise quer durch Kanada aufbricht, ahnt er nicht, dass er auf eine harte Probe gestellt wird. Er muss sich nämlich um seinen gebrechlichen und ziemlich unleidlichen Großvater Arthur kümmern. Der Grantscherm und der Teenager raufen sich zusammen. Amüsante Coming-of-Age-Geschichte.
KURIER-Wertung: **** von *****
INFO: Sarah N. Harvey: „Arthur oder Wie ich lernte, den T-Bird zu fahren“ Deutsch von Ulli und Herbert Günther. dtv. 240 Seiten. 14,40 Euro. Ab 14 Jahren.
Plötzlich in einem anderen KörperZirkusstar Arian Pratt findet sich im Körper eines geheimnisvollen Fremden wieder, während dieser von Arians Körper Besitz ergreift. Der Körpertausch hat natürlich Folgen und führt Arian auf eine abenteuerliche Reise und zu einem grausamen Geheimnis. Der neue Roman des deutschen Fantasy-Starautors Ralf Isau.
KURIER-Wertung: **** von *****
INFO: Ralf Isau: „Die Masken des Morpheus“ 544 Seiten. cbj Verlag. 18,50 Euro. Ab 12 Jahren.
Der Neue in der Klasse ist andersLuis hat ein schwarzesZottelfell, gelbe Augen und eine spitze, lange Schnauze. Und er stinkt. Kein Wunder, dass ihn die Schweinekinder in der Klasse nichtmögen, ja sogarAngstvorihmhaben. Nur Jojo fasst sich ein Herz und freundet sich mit dem einsamen kleinen Wolf an. Denn auch Außenseiter sind sehr nett, wenn man sie lässt.
KURIER-Wertung: **** von *****
INFO: Mario Ramos: „Nur Mut, kleiner Luis“ Deutsch von Tobias Scheffel. 50 Seiten. Moritz Verlag. 10,30 Euro. Ab 7 Jahren.
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