Die Schönheit der Unschärfe

Jérôme Ferrari erhielt 2012 für "Predigt auf den Untergang Roms" den Prix Goncourt, die höchste literarische Würdigung Frankreichs.
Jérôme Ferrari schreibt über den deutschen Physiker Werner Heisenberg

Die Dinge haben keinen Grund. Diese niederschmetternde Einsicht wird sich ein Philosophiestudent von einer jungen Dozentin sagen lassen müssen, als er hilflos versucht, mit ihr über Heisenbergs Unschärferelation zu reden.

Jérôme Ferrari, der schon mit seinem Debüt "Und meine Seele ließ ich zurück" Preise einheimste, später für "Predigt auf den Untergang Roms" den Prix Goncourt, die höchste literarische Würdigung Frankreichs, bekam und vor zwei Jahren mit dem großartigen "Balco Atlantico" nachlegte, widmet sich nun der Quantenmechanik.

In "Das Prinzip" (erschienen wie die Vorgänger im Verlag Secession) will uns der französische Philosophielehrer zeigen, wie viel Literatur in der Quantenphysik steckt, wie er es in einem Interview ausdrückte. Da kann also die große Neigungsgruppe der Mathematik- und Physikhasser noch einiges lernen. Nämlich dass Formeln Schönheit innewohnt.

Die von Werner Heisenberg 1927 formulierte Unschärfebeziehung gilt trotz ihrer Abstraktheit als eines der bekanntesten Gesetze der Quantenphysik. Sie besagt sinngemäß, dass man nicht zugleich die Position und die Geschwindigkeit eines Elementarteilchens bestimmen kann. Diese Prinzip hat es Ferrari angetan. "Denn lange bevor es die Form mathematischer Ungleichungen annahm, denen es seine unvergleichliche Schönheit schuldet, bestand das Prinzip zunächst aus Ihrer (Heisenbergs, Anm.) Überzeugung, dass wir den Grund der Dinge niemals erreichen werden (...).

Was zur oben erwähnten Einsicht führt, dass die Dinge keinen Grund besitzen.

Von der Schönheit der Heisenberg’schen Formeln, seiner Rolle im nationalsozialistischen Deutschland sowie seinem Anteil an der Entwicklung der Atombombe wird hier vieles mit einigem Pathos beschrieben. Nicht zuletzt deshalb, weil Ferrari sich oft mit den Worten des jungen Studenten an den fast hundert Jahre zuvor lebenden Physiker richtet: "Seit drei Jahren schon befassten Sie sich in München, Kopenhagen und Göttingen mit derartig entsetzlich schwierigen Problemen ..."

Man erinnert sich an frühere Romane, wo sich Ferrari an philosophischen Größen wie Augustinus abarbeitete, den Lesern jedoch auch Greifbareres gönnte: Dorfkneipe, korsische Nationalisten, halbwilde Schweine. Alttestamentarisch anmutender Pathos wurde mit heiter-sarkastischem Erzählton gekontert. Der fehlt hier. Dem Autor liegt nichts daran, Heisenberg mittels persönlicher Anekdoten als Mensch greifbar zu machen. Und die Schönheit der Heisenberg’schen Unschärfe, sie bleibt schwer zugänglich. Sympathisch ist jedoch, dass auch der studentische Erzähler letztlich daran scheitert.

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