Die Realität überholt die Kultur

Unterlegen im Kampf mit dem echten US-Präsidenten: Frank und Claire Underwood (Kevin Spacey und Robin Wright) in der TV-Serie „House Of Cards“ (fünfte Staffel ab Mai bei Sky)
Unser Zusammenleben hat sich zuletzt radikal geändert. Das stellt neue Fragen für die Kultur: Was kann sie in Zukunft erzählen? Und wem?

Das erste Opfer von Donald Trump ist Frank Underwood.

Der durfte in der Netflix-Serie "House Of Cards" unter bewunderndem Gemurmel der TV-Zuseher ein unrealistisch arger Fiesling im Weißen Haus sein – und dort Intrigen, Machtspiele und sonst noch Schlimmes durchziehen. Man betrachtete das mit wohligem Grusel und der Gewissheit, dass es ja wohl doch nicht so schlimm sein kann.

Dann kam Trump.

Und jetzt scheinen die bisherigen "House Of Cards"-Staffeln wie Kindertheater: Wie Underwood (fiktiv) regierte, kommt nicht im Geringsten an Trumps wilde erste Tage heran. Im Mai startet die fünfte Staffel. "House Of Cards" wird sich abstrampeln müssen, um die neue Realität zu übertreffen.

Das zweite Opfer von Donald Trump war "South Park". Die hierzulande zu wenig bekannte Animationsserie ist so ziemlich das Sarkastischste, was man im Fernsehen sehen kann: Man verspottete alles von Pädophilie über Scientology bis zu Kannibalismus und Migration. Syrische Flüchtlinge könne man nur durch "Sex bis zum Tod" in den Griff kriegen, hieß es etwa in einer Folge.

Ja, wirklich.

Vor Donald Trump aber gibt selbst "South Park" w.o.: "Wir konnten nicht mit dem mithalten, was in der Realität passiert", sagten die Serienmacher – und strichen Trumps Figur aus der Serie.

Das dritte Opfer? Vielleicht die gesamte Kultur.

Denn was für das US-Fernsehen gilt, gilt genauso für Pop, Kunst, Literatur, Theater und Oper: Donald Trump steht für eine neue Realität, die weit über das Politische hinausgeht; es haben sich zuletzt grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft, im Zusammenleben und im Blick auf die Zukunft ergeben. Und es ist höchste Zeit, dass die Kultur darauf reagiert. Die große Frage ist nur: Wie?

Wie geht’s uns?

Was passiert ist, ist schnell geschildert: Die Welt ist groß, der Mensch klein, und im Internet stehen Lügen, die Trost spenden oder zumindest die Ohnmacht des Einzelnen emotional abfedern. Also hat es sich eine große Gruppe an Menschen in diesen Lügen bequem gemacht – und begonnen, die bisherigen Wahrheiten durch "alternative Fakten" zu ersetzen.

Die Medien? Lügen.

Die Politiker? Lügen.

Aber was auf Facebook steht, ist wahr.

Das hat überraschend schnell zu einer Auflösung jenes Kitts geführt, der die Gesellschaft bisher zusammenhielt. Und das wiederum führt zu allerlei Trennungsschmerzen: Im Weißen Haus sitzt, echt jetzt, Donald Trump, dorthin gewählt von den zornigen Menschen, die der Hass auf ein "System" eint, das Trump jetzt zum Schaden aller zerschlägt.

Die EU wankt, die europäischen Staaten bekommen Schlagseite in Richtung Abschottungspopulismus.

Medien verstärken in ihren Onlineausgaben die Ressentiments – oder führen eine mühsame Bergaufwärts-Schlacht gegen Hasskommentare. Die Bevölkerungsgruppen beäugen einander misstrauisch.

Kulturfragen?

Und die Kultur reibt sich verdutzt die Augen. Auch sie ist von der Geschwindigkeit dieser Entfremdung der Menschen voneinander überrumpelt. Was insofern ein besonders bitteres Problem ist, als die Kultur von sich behauptet hat, sich mit dem Menschen auszukennen.

Zwar leben einzelne Künstler gut in einem Umfeld, das Aufregung belohnt. Und sie bewegen sich gekonnt darin: Sie behaupten die eigene Wichtigkeit und können darauf zählen, dass ihnen geglaubt wird.

Die großen Institutionen stehen dem Phänomen aber hilflos gegenüber. Oper, Literatur, Theater, hier sollten wir doch etwas lernen können, über das Beste und das Schlechteste in uns; hier sollten wir geläutert und vielleicht verbessert werden. Hier sollten wir uns und den anderen verstehen lernen.

Doch die Bilder vom Menschen, die insbesondere auf den Bühnen gezeigt werden, sind über weite Strecken so unaktuell wie kaum je zuvor. Und sie werden jenen Menschen vorgeführt, die ohnehin schon von diesen Bildern überzeugt sind: Man ist sich einig über die Wichtigkeit der klassischen Musik, der Oper, des Theaters, applaudiert – und geht unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Denn was derzeit draußen in der Welt und drinnen in den Menschen passiert, darüber weiß die Kultur dort, wo sie ihr Stammpublikum, und dort, wo sie eine breite Masse erreicht, erschreckend wenig. Umso unattraktiver wird sie für jene anderen Menschen, die die Kultur nur aus der Ferne betrachten und sich wundern, was das Theater soll.

Am falschen Fuß

Der derzeitige Umbruch erwischte die Kultur am falschen Fuß. Vielerorts fehlt das Geld. Damit ging auch der Mut verloren: Opern und Theater programmieren auf Quote, der Pop ist feig geworden und Hollywood vor den Superhelden und China in die Knie gegangen.

Dass das genau die falsche Reaktion ist, zeigen die Medien derzeit in den USA bereits vor: Auf die neue Zeit reagiert man nämlich am besten mit neuem Selbstbewusstsein. US-Medien sind angriffig und kritisch wie schon viele Jahre nicht mehr. Auch die Kultur muss sich überlegen, wie sie sich einer weiteren Entwertung im Gefüge der Gesellschaft entgegenstellt.

Wie man jene erreicht, die sich all dem fern fühlen, auch die jungen und die neuen Gruppen. Und was man ihnen erzählen kann, mit den großen Werken und mit neuen Hilfsmitteln, über neue Kanäle und auf neue Arten. Sonst geht es der Kultur wie Frank Underwood: Bemüht, aber von der Realität übertroffen – und abgewählt.

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