Die neue Generation des Kunstbetrugs
Die Geschichte dürfte eines Tages verfilmt werden.
Mitsamt der Szene, in der die Polizei in Port Vila im Pazifik-Inselstaat Vanuatu einen jungen Lockenkopf in Badehose und Espadrillos in Gewahrsam nimmt und ihn in ein Kleinflugzeug verfrachtet.
Eine ordentliche Hose bekam der Mann laut Recherchen des Kunst-Branchendiensts Artnet erst bei der Zwischenlandung in Guam, auf US-Territorium.
Denn Inigo Philbrick, so der Name des 33-Jährigen Mannes, war bis zu seiner Verhaftung am 12. Juni der meistgesuchte Verdächtige der Kunstwelt.
Mindestens 20 Millionen US-Dollar Schaden soll er mit betrügerischen Handlungen verursacht haben.
Wenige Tage später klickten noch für eine andere des Kunstbetrugs verdächtigte Person, Angela Gulbenkian (38), in Lissabon die Handschellen. Die als Angela Ischwang geborene Bayerin hatte einen entfernten Spross der Ölmagnaten-Dynastie Gulbenkian geheiratet und sich mit dem Namen – zu dem eine Stiftung und ein Museum gehören – zur Kunstsammlerin und -händlerin stilisiert. Bei zwei Kunstverkäufen, so der Vorwurf, habe sie das Geld selbst eingestreift.
Die mutmaßlichen Verbrechen sind im Detail unterschiedlich. Doch beide können als Indizien für strukturelle Veränderungen in der High-End-Kunstwelt gelten.
Die Geschichte von Inigo Philbrick zeigt vor allem den extremen Abstraktionsgrad des globalen Kunstmarkts auf. Die Kunst muss dabei gar nicht abstrakt sein – in einem Fall ging es um ein fotorealistisches Bildnis Pablo Picassos, gemalt von dem aus Südtirol stammenden Kunstmarkt-Star Rudolf Stingel.
Mehrfach verkauft
Der smarte junge Philbrick, der sich die Eigentümerschaft mit einem deutschen Investorenpaar teilte, sollte das Werk gewinnbringend verkaufen. Und er tat es mehrfach: Ein Käufer beansprucht nun die volle Eigentümerschaft an dem Werk, ein anderer 50 Prozent. Zusätzlich hatte Philbrick das Bild bei Christie’s zur Auktion eingebracht. Das deutsche Investorenpaar ließ er mithilfe gefälschter Dokumente im Unklaren.
Möglich wird diese nächste Generation des Kunstbetrugs erst, wenn Kunstwerke nicht mehr als klar definierte Objekte, sondern als Finanzinstrumente gesehen werden: Bilder und Skulpturen lassen sich in dieser Denkweise wie Anleihen stückeln und weiterverkaufen. Auch die Besicherung von Krediten mithilfe von Kunstwerken ist völlig legale Praxis; mit betrügerischer Absicht können die Werte einzelner Kunstwerke aber etwa durch Scheinverkäufe künstlich in die Höhe getrieben werden, was ihren Pfandwert erhöht.
Auch Philbrick soll Kredite für seine – mittlerweile geschlossene – Galerie in Miami mit Kunstwerken besichert haben, u. a. mit einem Gemälde von Jean-Michel Basquiat. Das ihm zwar nicht gehörte, das er aber ungeachtet dessen noch einmal verkaufte.
Nicht jede Kunst eignet sich für solche Transaktionen – meist sind es die so genannten „Blue Chips“, Werke einer Handvoll von Star-Künstlern mit Markenzeichen-Charakter. Die Kunst wird in dem Prozess zunehmend entmaterialisiert: Ein Museumspublikum bekommt die meisten Werke nie zu Gesicht, viele sind in Zollfreilagern aufgehoben und verlassen diese nie, auch wenn sich die Eigentumsverhältnisse mehrfach ändern.
Klagen
Der prominenteste Betreiber von Kunst-Zollfreilagern, der Schweizer Yves Bouvier, ist selbst seit Jahren mit einem Wust an Klagen konfrontiert. Er soll dem Oligarchen Dmitry Rybolowlew zahlreiche Kunstwerke beschafft und dabei -zig Millionen Dollar aufgeschlagen haben. Darunter das später auf 450 Millionen US-Dollar gesteigerte Leonardo-Bild „Salvator Mundi“ und das Klimt-Gemälde „Wasserschlangen II“.
„Mich überrascht es selbst oft, wie flott da extrem viel Geld ausgegeben wird“, sagt der auf Kunstrecht spezialisierte Wiener Anwalt Andreas Cwitkovits. Im Fall Bouviers habe jedoch ein langjähriges Vertrauensverhältnis zwischen dem Händler und dem Oligarchen-Kunden bestanden. Die Welt der Kunst-Anteilseigner und der schnellen Investments, die Philbrick auszunutzen wusste, kennt solche dichten Bande nicht.
Und auch im Fall der Angela Gulbenkian reichte ein schöner Name, um kunstsinnige Akteure zu blenden.
„Das Abhandenkommen des persönlichen Kontakts ermöglicht mehr Täuschung“, befindet Anwalt Cwitkovits, der aber das große Potenzial für Kunstbetrug in Österreich nicht sieht: „Was in hierzulande richtig wertvoll ist, ist meistens mit Exportbeschränkungen bedacht. Wenn sich das alles nur im Inland abspielt, ist das für solche Leute nicht lukrativ“, sagt er.
International stellt das Big Business jedenfalls weiter auf Distanzbetrieb um: Nach ihren Auktionswochen in der zweiten Juliwoche, die erstmals ganz über Livestreams abliefen, jubelten die Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s jeweils über Umsätze von mehr als 400 Millionen US-Dollar.
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