Emanzipationsdrama als Geschichte einer Nation

APA12335164-2 - 20042013 - WIEN - ÖSTERREICH: Dorothee Hartinger in der Rolle der Frau von O. und Oliver Masucci als Hauptmann am Dienstag, 16. April 2013, während einer Probe des Stückes "Die Marquise von O." das am 19. April am Akademietheater in Wien Premiere hat. APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER
"Die Marquise von O." im Wiener Akademietheater. Ein toller Abend fällt durch.

Eine Frau ist schwanger und behauptet, nicht zu wissen, wie es dazu kam. Das ist ein herrlicher Plot für eine Novelle – und weil Heinrich von Kleist eigentlich lieber Dramen schrieb, ist die Geschichte auch noch wunderbar für die Bühne geeignet.

In Kleists Novelle „Die Marquise von O.“ geht es um das, was geschah,als die Marquise mit dem französischen Offizier kurz alleine war, offenbar bewusstlos, vor marodierenden Soldaten flüchtend. Hat der Offizier sie gerettet? Vergewaltigt? Oder gab es doch Einverständnis zwischen ihnen? Kleist verrät nicht, was wirklich passiert ist – er braucht zur Beschreibung des Geschehens nur ein einziges Zeichen: –.

In der Bühnenfassung des österreichischen Dramatikers Ferdinand Bruckner (geboren als Theodor Tagger) steht ebenfalls die mysteriöse Begegnung von Offizier und Marquise am Anfang. Entscheidend ist hier aber nicht, was war, sondern was daraus wird. Brückners Stück lässt sich leicht als Emanzipationsdrama lesen: Am Ende ist die Marquise eine moderne, selbstbestimmte Frau, die keinen Mann an ihrer Seite braucht und ihre Kinder alleine großzieht.

Außerdem geht es hier um die bekannte Täter-Opfer-Umkehrung: Die Frau, die ihre Vergewaltigung irgendwie „ohnehin gewollt“ hat. Oder ist es andersherum, nämlich eine Verleumdung, um einen „schwachen Moment“ zu tarnen?

Szenenfotos des Stücks

Emanzipationsdrama als Geschichte einer Nation

AKADEMIETHEATER: DIE MARQUISE VON O.
Emanzipationsdrama als Geschichte einer Nation

AKADEMIETHEATER: DIE MARQUISE VON O.
Emanzipationsdrama als Geschichte einer Nation

AKADEMIETHEATER: DIE MARQUISE VON O.
Emanzipationsdrama als Geschichte einer Nation

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Emanzipationsdrama als Geschichte einer Nation

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Emanzipationsdrama als Geschichte einer Nation

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Emanzipationsdrama als Geschichte einer Nation

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Emanzipationsdrama als Geschichte einer Nation

AKADEMIETHEATER: DIE MARQUISE VON O.

Bruckners Text – er entstand 1933! – ist aber auch eine historische, politische Metapher (nicht umsonst ist der Text voll mit Verweisen auf Beethoven und den von ihm hassgeliebten Napoleon): Deutschland lässt sich von Napoleon vergewaltigen, das dabei entstandene Kind: die deutsche Nation.

Am Ende bleibt die Marquise alleine zurück, ihr Vater und ihr Verlobter melden sich zu preußischen Freiwilligenverbänden, der Kindsvater reitet Waterloo entgegen, ihre Mutter flüchtet sich in Quartette von Beethoven.

Und damit sind wir endlich im Wiener Akademietheater, wo der griechische Theatermacher Yannis Houvardas „Die Marquise von O.“ in Szene setzte. Erstaunlich ist, dass das augenscheinlich gelangweilte Premierenpublikum dieser Inszenierung ausgerechnet deren wichtigste Qualität übel nahm: ihre unspektakuläre Gelassenheit.

Gelassen

Ohne Partei zu ergreifen, ohne Lärm oder „Regieeinfälle“ zeigt Houvardas das Drama in der Psyche einer Frau, einer Familie, einer Gesellschaft. Dorothee Hartinger ist als Marquise atemberaubend gut und unberechenbar. Oliver Masucci als Offizier ist großartig, Peter Simonischek ist ein herrlich abgründiger Vater. Andrea Clausen begeistert als kunsthysterische Mutter. Dietmar König entwirft als Verehrer eine schöne Skizze.

Dünner Applaus für eine Aufführung, die zu entdecken es sich lohnt.

KURIER-Wertung: ***** von *****

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