Das neue Buch von Liessmann versammelt Texte des Philosophen und Essayisten, die zwischen 2016 und 2022 in diversen Zeitungen, Magazinen und Sammelbänden erschienen sind. Der Autor erweist sich darin einmal mehr als präziser, scharfsichtiger Diagnostiker, der die kleinen Lächerlichkeiten und die großen Irrwitzigkeiten unserer Zeit zur Kenntlichkeit entstellt.
So spießt er etwa im titelgebenden Text „Lauter Lügen“ (wie die meisten Beiträge ursprünglich in der NZZ erschienen) die Pose der „moralischen Überlegenheit“ jener auf, welche stets die Wahrheit auf ihrer Seite wähnen: „Natürlich lügen auch die Guten, vor allem dann, wenn sich die Wirklichkeit den Ideen des Guten zu widersetzen scheint“, heißt es da unter Bezugnahme auf den Fall Relotius beim Spiegel.
Wie ein roter Faden zieht sich der Themenkomplex der political correctness und ihrer neuesten, unduldsamsten Ausprägung, der cancel culture durch den Band. Dazu zählt beispielsweise die Ansicht, „dass Sprache Wirklichkeit schafft“. Denn dieser „schrägen Vorstellung verdanken wir das Binnen-I, die Gendersternchen und die Säuberung der Sprache von Begriffen, die als verletzend empfunden werden“.
Genüsslich zeigt Liessmann die Ambivalenz von nach allgemeiner Ansicht eindeutig positiv konnotierten Begriffen wie „auf Augenhöhe“, „Transparenz“ oder „Authentizität“ auf. „Wir wollen nicht alles von allen wissen“, schreibt er etwa, oder dass wir unsere Glaubwürdigkeit gerade dann verspielen, „wenn wir besonders glaubwürdig erscheinen wollen“.
Gerade weil Liessmann jedweder Art von Moralisierung äußerst skeptisch gegenüber steht, bedauert er die „Selbstverständlichkeit, mit der mittlerweile der Moral der Vorrang gegenüber der Ästhetik eingeräumt wird“ – eine Position, die freilich ihrerseits als schwer inkorrekt gilt.
Bei alldem geht es freilich um mehr als Ästhetik, mehr als Fragen des Geschmacks. Letztlich steht – paradoxerweise gerade im Zeichen des Fortschritts – jene freiheitliche Grundordnung auf dem Spiel, für die einzutreten und zu kämpfen dereinst als „fortschrittlich“ galt.
Liessmann illustriert das unter anderem am Beispiel der Klimaaktivisten vulgo „Klimakleber“. Klar benennt der Autor das grundlegende Problem: „Wer davon überzeugt ist, dass die Rettung des Klimas (hier könnte freilich auch ein anderes sogenanntes höheres Ziel stehen; Anm.) den Einsatz aller Mittel rechtfertigt, begibt sich auf gefährliches Terrain.“ Denn diese Vorstellung „enthält ein totalitäres Moment. Auch eine Ökodiktatur bliebe eine Diktatur.“
Alles in allem eine große Leseempfehlung für all jene, welche gegenüber dem Mainstream des öffentlichen Diskurses und insbesondere angesichts dessen zunehmender Verengung Unbehagen empfinden.
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