Diesmal also wieder Berlin, in einer Halle, die Belgienhalle genannt wird, und deren Name kein Berliner Taxler kennt. Sie befindet sich in der Siemensstadt, auf einem Industriegelände auf der Insel Gartenfeld, im Niemandsland hinter dem ehemaligen Flughafen Tegel, was immerhin noch weniger Niemandsland ist als das Gelände des neuen Flughafens BER, aber das nur nebenbei.
Die Halle selbst, Industrie-Coolness pur, stammt aus dem Ersten Weltkrieg, wurde von den Deutschen in Nordfrankreich erbeutet und abgebaut – und nach Berlin transferiert. Sie ist bis zu 16 Meter hoch, besteht aus einem Mittel- und zwei Seitenschiffen und bietet Manker und seinem Ensemble eine ideale Spielwiese für sein Stationentheater. Dieses findet an mehreren Schauplätzen gleichzeitig statt und versammelt dann das Publikum wieder im Zentrum, wo eine Lokomotive (mittlerweile ein Muss bei Manker-Aufführungen) und ein Waggon hin- und herfahren und sogar das Publikum transportieren. Aber auch vor der Halle wird Krieg „gespielt“ und das Publikum zu Schießübungen motiviert.
„Die letzten Tage der Menschheit“ ist definitiv das Werk zur Zeit, genau 100 Jahre nach Erscheinen in Buchform. Die Kriegstreiberei, der Zulauf zu Populisten, die Begeisterung auf der Straße über das Abenteuer, die gefährliche Rolle der Medien, die Verlogenheit der Kirche – all das wird bei Kraus entlarvt, satirisch auf die Spitze getrieben, aber nie so überzeichnet, dass es der Realität entflieht. Vom Ersten Weltkrieg bis zum Krieg in der Ukraine ist es weniger weit, als man denkt – und Manker ist der perfekte Monteur der Szenen, Aktualisierer mancher Begebenheiten, dramaturgische Verdichter.
Wie ein Kapellmeister führt er die Stimmen in seinem Schauspielorchester zusammen, findet das richtige Timing und auch die passenden Klangfarben. Von „Also sprach Zarathustra“ (Richard Strauss) bis zu Schumanns „Mondnacht“, von der Kaiser-Hymne bis zum völlig wahnsinnigen Lied aus dem NS-Buch der Burschenschaft Germania – Mankers „Letzte Tage“ sind durchaus auch Musiktheater, operettenhaft irritierend, Varieté-mäßig überhöht, mit großer wagnerianischer Geste.
In der deutschen Hauptstadt stehen naturgemäß Berliner Szenen mehr im Mittelpunkt, alles zusammen dauert etwas mehr als sieben Stunden. Wer durchhält, wird sich definitiv nicht über Langatmigkeit beklagen, falls jemand vorzeitig aussteigen muss, lohnt sich ein zweiter Besuch. Es gibt Almdudler und zu den Schauplätzen passendes Essen, sogar einen Übergriff auf eine serbische Würstelbude.
Die Schauspieler (Alexander Abramyan, Henry Arnold, Nikolai Arnold, Zuzana Cuker, Benedikt Haefner, Gregor Hellinger, Gregor von Holdt, David Ignjatovic, Robert Karolyi, Claudia Kohlmann, Christian Korthals, Manker selbst, Janik Marder, Martin Pasching, Rebecca Richter, Iris Schmid, Madeleine Steinwender, Patricia E. Trageser) spielen allesamt mehrere Rollen und leisten Großartiges. Gespielt wird bis in den September hinein immer Freitag/Samstag/Sonntag.
Ticketinfo: letztetage.com
Kommentare