"Die Kraft des Alters" im Belvedere: Lebenslust im Herbst des Lebens

Die Kraft des Alterns
"Die Kraft des Alters" (bis 4. März) im Unteren Belvedere zeigt den Reichtum des gelebten Lebens.

Kein Hauch von Abschied oder Melancholie: Die von unseren Altvorderen gern zitierte "Würde des Alters" ist korrodiert. Die Senioren von heute sind nicht mehr das, was sie einmal waren.

Einen positiven Eindruck davon gibt die Ausstellung "Die Kraft des Alters", die im Unteren Belvedere 188 Ansichten zum Thema von mehr als 100 Künstlern aus mehr als einem Jahrhundert zeigt.

Zerrbild Jugendwahn

"Wir leben heute sehr viel stärker, gesünder und länger als noch vor einigen Jahrzehnten", sagt Direktorin Stella Rollig. Aber statt Wertschätzung für das Alter sind Diskriminierung und Ausgrenzung heute immer noch weit verbreitet.

Das oft verzerrte Bild von Jugendkult und -wahn in der Film- und Werbeindustrie blendet aus, was die Schau zeigt: Wie sich die Haltung gegenüber den Alten im Lauf der Zeit verändert hat.

Man dürfe die späte Lebensphase nicht auf Defizit, Verfall, Schwäche und Rückzug reduzieren, sagt die Kuratorin Sabine Fellner, die schon ähnlich kontroversielle Themenausstellungen wie "Der nackte Mann" und "Rabenmütter" im Lentos in Linz gestaltet hat. "Das Alter ist nicht nur ein biologischer Prozess, sondern auch eine kulturelle Konstruktion."

Gegenentwurf

Also lassen sich gesellschaftliche Veränderungen entlang der Kunstgeschichte erfahren und erspüren.

So wurden der Maler Carl Moll durch Oskar Kokoschka und ein General von Anton Kolig einst – im Sinne der Repräsentation – naturgemäß anders porträtiert als der "Godfather of Punk" Iggy Pop, den Annie Leibovitz mit nacktem, faltigem Oberkörper abgelichtet hat.

Eine Karikatur von "Anti- Aging" ist die weißhaarige, hantelschwingende, 80-jährige Margot Pilz im schulterfreien Leibchen. "Das ist Ausdruck einer gewissen Selbstironie und Leichtigkeit", so Rollig, "sowie einer Bereitschaft, sich selber in Frage und auszustellen, wie sie besonders in der Kunst von Frauen zu sehen ist".

Das Konzept war ein kritischer und humorvoller Gegenentwurf zum einseitigen Image von Alter, das primär viele Aspekte von Jugendlichkeit suggeriert und Alterssex ebenso tabuisiert wie den geistigen Verfall.

Sinnlich trotz Falten

So zeigt Martha Wilson mit viel Witz, wie kosmetische Eingriffe jede Individualität aus einem Gesicht löschen. Und Joyce Tenneson setzt dem herrschenden Jugendkult Porträts von Frauen entgegen, die die Spuren ihres Alterungsprozesses nicht auslöschen, sondern selbstbewusst in Szene setzen.

Die Schönheit, die in der Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers liegen kann, haben in den 1990er-Jahren Ishiuchi Miyako und Herlinde Koelbl visualisiert.

Auch bei der US-Künstlerin Aleah Chapin, Jahrgang 1986, sind die grauhaarigen, nackten Frauen sinnlich trotz Falten. Und im Marmorsaal bekennt "Omsch", die lebenslustige betagte Nachbarin von Edgar Honetschläger, mit 102 Jahren: "Das hohe Alter ist das Schönste in meinem Leben."

"Ewige Jugend und stolzes Alter", "Vergänglichkeit", "Einsamkeit und Verbundenheit", "Neue Freiheit", "Muße" und "Erinnerung": In sechs Kapiteln wird das Alter in neuen Perspektiven beleuchtet.

Das männliche Streben nach immerwährender Potenz und Virilität reflektiert unter anderen Renate Bertlmann ironisch mit "Viagra", einem leuchtend roten Phallus auf goldenem Kissen.

Späte Blüte

Ist "Was bleibt" von Daniel Spoerri auch eine Anspielung auf das Altern und Sterben?

"Nein", sagt der Künstler, "diese Serie bezieht sich auf eine Situation auf dem Flohmarkt, wo am Abend Objekte einfach liegen bleiben und weggeworfen werden, weil sie selbst auf dem Flohmarkt keinen Wert mehr haben."

Spoerri, 87, dient als lebender Beweis dafür, dass Kreativität keine Frage des Alters ist. Dass sich der Mensch nicht als Mängelwesen begreifen soll. Im Gegenteil: Wer klug ist, sieht im Alter nicht nur die Defizite, sondern viel mehr neue Qualitäten.

Indem das Belvedere den Reichtum des gelebten Lebens zeigt, wird auch klar: Für die Kunst, älter zu werden, brauchen wir die Kunst.

Und die Erfahrung von Lebensfreude und Sinnlichkeit, wie sie die Choreografin Pina Bausch im Stück "Kontakthof mit Damen und Herren ab 65" zeigt: In dem kreisen ältere Performer in Abendkleid und Anzug lustbetont mit ihrem Becken und wackeln mit dem Po.

"Man braucht lange, um jung zu werden", sagte Picasso. Mit anderen Worten: Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit.

Kommentare