Die größere Hoffnung - Von Ilse Aichinger

Die größere Hoffnung - Von Ilse Aichinger
Das Buch erzählt aus Kindersicht von den Gräueln des Zweiten Weltkriegs.

Es ist das erste Buch und der einzige Roman Ilse Aichingers, der Grande Dame der österreichischen Literatur. Manch einer hat sie schon sitzen sehen im Café Demel am Kohlmarkt, und viele werden ihre kurzen Erzählungen, Gedichte oder Hörspiele kennen. „Die größere Hoffnung“ war ihre erste Publikation: 1948, noch in Amsterdam erschienen, machte der Roman Ilse Aichinger zur neuen, großen Literatin der Trümmer- und Nachkriegsliteratur und mit einem Schlag berühmt.

Damals war die Autorin 26 Jahre alt und wollte nur, bekennt sie in einem ZEIT-Interview, „einen Bericht über die Kriegszeit“ schreiben und „alles so genau wie möglich festhalten“. An ein Buch habe sie nicht gedacht – aber eines der wichtigsten Werke der deutschsprachigen Literatur ist es vielleicht gerade deshalb geworden. „Die größere Hoffnung“ erzählt aus Kindersicht von den Gräueln des Zweiten Weltkriegs: Ellens jüdische Mutter konnte nach Amerika flüchten, das Kind blieb bei seiner Großmutter zurück. Furios setzt Aichinger mit Ellens Besuch beim Konsul ein, der in ihrem selbstunterschriebenen Zeichenblock-Visum, mit gemalten Blumen geschmückt, das „erste wirkliche Visum während seiner ganzen Amtszeit“ erkennt. Zehn Kapitel lang folgen wir Ellen durch kindliche Angst und Wut, wie sie selten so intensiv dargestellt wurden. Wir erleben die Deportation ihrer Spielgefährten und Freunde mit, den Selbstmord ihrer Großmutter, wir werden mit Ellen in einem Keller verschüttet und hetzen mit ihr über brennende Straßen. Die Dialoge und Gedanken der Kinder erinnern dabei an Brechts episches Theater oder an surrealistische Szenen – trotz allem grausigen Realismus ist es eine Kunstsprache, die Ilse Aichinger erschafft, tieftraurig und wunderschön, brutal-schrecklich, aber voller Poesie. Die Autorin wurde ähnlich gequält wie ihre Figur: In Linz als Tochter einer jüdischen Ärztin aufgewachsen, musste sie miterleben, wie ihr Vater Frau und Kinder verließ, um seine berufliche Karriere nicht zu gefährden. Sie zogen nach Wien, wohnten zurückgezogen. Später versteckte Aichinger unter Lebensgefahr ihre Mutter bis Kriegsende, während andere Familienmitglieder in Konzentrationslagern starben. Terror und Angst brannten sich tief ein und fanden mit der „größeren Hoffnung“ Eingang in die Weltliteratur.

Die größere Hoffnung - Von Ilse Aichinger
Ein Königreich für ein Bild!

Wenige Jahre nach der Veröffentlichung des Romans las Aichinger vor der Gruppe 47, jener legendären Schriftsteller-Vereinigung, der etwa Paul Celan, Ingeborg Bachmann oder Heinrich Böll angehörten. Und auch Günter Eich, den sie 1953 heiratete. Der 1972 nach mehreren Herzanfällen starb, und dessen „Präsenz“ Ilse Aichinger weiterhin „spürte“. Seit sie 1952 den Literaturpreis der Gruppe 47 erhielt, kamen unzählige Ehrungen hinzu: vom Nelly-Sachs-Preis bis zum Österreichischen Staatspreis für Literatur. Ilse Aichinger ist eine Meisterin der Verknappung. Auch „Die größere Hoffnung“ wurde mehrfach überarbeitet, zuletzt noch 2007. Die Konzentration stand dabei im Vordergrund. Wo es beispielsweise 1948 noch hieß „Der Himmel war blau. Blau noch immer! Das Haus gegenüber war weggerissen“, so liest man in späteren Ausgaben: „Man sah den Himmel gut. Das Haus gegenüber war weggerissen.“ Es scheint fast wie in der Homöopathie: Ilse Aichinger potenziert und sublimiert ihre Texte immer stärker, bis sie endlich ins Schweigen hinübergleiten – einer Stille, die auch in den leider selten werdenden Veröffentlichungen der Autorin merkbar wurde. „Die größere Hoffnung“ aber, dieser unter die Haut gehende „Bericht“, wird noch lange und oft gelesen werden.

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