Die Grammys sind weiblich und haben andere Probleme
Georg Leyrer
03.02.24, 17:26Man kann es förmlich hören, wie sich die Grammy-Verantwortlichen gegenseitig auf die Schultern klopfen. Denn die Berichterstattung im Vorfeld der Verleihung (in der Nacht auf Montag) erzählt eine Geschichte, die Auszeichnungsmacher gerne hören: dass nämlich die Liste der Nominierten heuer so weiblich ist wie nie zuvor.
Das ist gut, denn auch die Grammys standen, wie die Oscars und die Golden Globes, lange in der Kritik, Frauen, Minderheiten und Dinge abseits des Mainstreams zu unterspielen. Also zumindest an der Frauenfront haben die Grammys heuer gepunktet: Taylor Swift, SZA, Olivia Rodrigo, Billie Eilish, Victoria Monét, Miley Cyrus, Lana Del Rey, Dua Lipa und Boygenius stehen im Nominierungsrampenlicht, die wichtigsten Kategorien werden aller Wahrscheinlichkeit nach in weiblicher Hand sein.
„Heiliger Krieg“
Die Grammys würdigen ein Popjahr, in dem die Unterhaltungsmusik politisiert wurde. Taylor Swift ist derzeit der Gottseibeiuns des Trump-Amerika: An der Erfolgssängerin arbeiten sich Fox News und Politiker ebenso ab wie die Internettrolle, die online den Diskurs vergiften. Denn Swift wurde im Vorjahr endgültig zum größten Popstar, den die USA zu bieten haben.
Und obwohl sie alles abhakt, was die radikalisierten Konservativen eigentlich mögen sollten – sie kommt aus der Countrymusik und bildet optisch die angeblich bedrohte Mehrheitsgesellschaft vorbildlich ab –, weigert sie sich, sich diesen anzudienen, im Gegenteil. Swift hat sich für Joe Biden ausgesprochen oder zumindest nicht für Donald Trump – was für die Radikalen schon reicht. Sie rufen zum „Heiligen Krieg“ gegen Swift auf, und nein, das ist nicht erfunden.
Insbesondere ihre Beziehung zum Football-Star Travis Kelce ist Gegenstand der irrsten Verschwörungstheorien. Das Trump-Lager versucht, seine Anhänger dadurch zu emotionalisieren, dass sie Swift frontal attackieren. Das dürfte alles in allem eine wahnsinnig schlechte Idee sein.
Denn die Swift-Fans reagieren auf die plötzliche Hetzjagd der konservativen Medien mit Unverständnis und offensiver Ablehnung. Und sie sind so viele, dass im Politikmedium Politico schon analysiert wird, ob die Republikaner damit die Wahlchancen Trumps riskieren, der ohnehin bei den Mittelschichtfrauen unbeliebt ist.
Das gefährliche Spiel mit Taylor Swift ist nur der krönende Tiefpunkt eines politisch problematischen Jahres für die Musikbranche. Denn ein Opfer des Kulturkampfs waren auch die Musikcharts.
Dass die nicht mehr so richtig funktionieren, war schon in den Jahren zuvor ersichtlich. Sie versuchen, Musikkäufe und Streamingzahlen zusammenzurühren und daraus ein Bild der beliebtesten Songs zu erstellen.
Wie wenig aussagekräftig diese Frankenstein-Rechnung ist, das bewiesen zwei Songs. „Try That In A Small Town“ von Jason Aldean und „Rich Men North of Richmond“ von Oliver Anthony landeten letztes Jahr auf Platz eins der US-Charts – deswegen, weil sie vom konservativen Amerika hochgepusht wurden. Beide Songs kleiden Schmerzenspunkte der Konservativen in Musik – die Wehrhaftigkeit der Kleinstadt und den Zusammenhalt gegen die Großkopferten in den Metropolen.
Zähneknirschen
Sie gingen in deren Onlinekreisen viral, wurden zu Waffen im Kulturkampf – und so oft gestreamt, dass sie in den Charts nach oben schossen. Und sie zeigten, dass die Mechanismen der Charts für andere Zwecke missbraucht werden können, als die beliebtsten Songs zu versammeln. Keine gute Nachricht für die Branche. Manch einer wird heute die Grammys angesichts all dessen mit Zähneknirschen feiern.
Einen heimischen Aspekt gibt es dort übrigens auch: Der Österreicher Markus Illko ist in der Kategorie „Best Arrangement Instrumental“ nominiert – für eine neue Version des Johnny-Cash-Klassikers „Folsom Prison Blues“.
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