Die Frau zwischen Jules und Jim
Auch wenn man immer mehr vergisst: Der Moment im Kino, bei Truffaut, als Jeanne Moreau absichtlich das klapprige Auto von der Brücke in den Fluss lenkt, dem entsetzten Beifahrer Henri Serre (= Jim) zuzwinkernd, und einsam bleibt Oskar Werner (= Jules) zurück ... den merkt man sich lang.
„Jules und Jim“ (1962): Der Autor der Romanvorlage, Henri-Pierre Roché, hat übertrieben: Die französische Dreiecksgeschichte, an der er selbst – als Jim – beteiligt war, endete nicht tödlich.
Und er hat untertrieben: In Wahrheit war diese Beziehung nicht so frei und gar nicht so schön. Die Frau, die Jules und Jim liebte, hieß Helen Hessel. Eine Berlinerin, damals Fräulein Grund, die früh nach Frankreich auswanderte und immer Siegerin, immer im Mittelpunkt sein wollte, lachend, lärmend, auch beim Lieben und Hassen.
Schweigen
Selbst im hohen Alter – sie starb 1982 mit 96 Jahren –, als sie nicht mehr reden konnte, telefonierte sie mit ihren Verwandten und beherrschte sie durch ihr Schweigen.
Ihre Pariser Biografin Marie-Françoise Peteuil macht es deutlich: Angenehm in diesem Trio war nur Franz Hessel, Proust-Übersetzer und als Schriftsteller erst seit ein paar Jahren hochgeschätzt.
Ein Stiller. Helen heiratete ihn zwei Mal. Er war so ruhig, dass sein Sterben 1941 – auf ständiger Flucht vor den Nazis – niemand mitbekam. Doch, einer schon, ein zerlumpter Trunkenbold. Ihm hatte Franz Hessel vom nahen Tod erzählt, und der Mann holte sich dann gleich nach dem Begräbnis die versprochenen Schuhe.
Man kann sich vorstellen, dass Hessel seinem besten Freund Roché bald signalisierte, er habe nichts dagegen, wenn auch er und Helen ... Sie war so modern. Sie nahm sich einfach. So stark, zu stark. Und überdreht: Wollte laufend eine Eisenbahn überholen. Wurde von der Lok gerammt. Macht ja nichts. Weiter geht’s.
Henri-Pierre Roché war ein guter Deckel. Aber ungemein selbstverliebt. Exhibitionistisch fast. Er gab seiner Männlichkeit den Namen „Gott“, und der Liebesrausch dauerte 13 Jahre. Helen Hessel sprengte die Konventionen, auch in ihren Modekolumnen für die Frankfurter Nachrichten, sie hatte Rilke kennengelernt, Picasso, Man Ray. Ein Teufelsweib, auch von Frauen als „genial“ beschrieben: „Sie konnte ebenso einen Essay schreiben wie ein Pferd zureiten oder Auto fahren“ (Charlotte Wolff, Ärztin und eine Zeit lang Lebensgefährtin).
Boxkampf
1933 war Schluss. Roché wünschte ihr einen anderen Liebhaber. Und wollte das Kind nicht, das Helen Hessel von ihm erwartete. Sie ließ abtreiben. Danach erfuhr sie, dass er mit einer anderen Frau ein Baby hat. Der finale Boxkampf samt kurzfristiger Geiselnahme dauerte Stunden.
Den Film von François Truffaut hat sie sehr gemocht. Es gibt Anzeichen, dass sie sich in den Regisseur verliebte, weil er sie in voller Pracht ins Kino brachte. Truffaut wollte Helen Hessel partout nicht treffen.
KURIER-Wertung: **** von *****
Info: Marie-Françoise Peteuil: 'Helen Hessel. Die Frau, die Jules und Jim liebte' Übersetzt von Patricia Klobusiczky. Schöffling Verlag. 421 Seiten. 25,70 Euro.
Helen Hessel (1886–1982) hat minuziös Tagebuch geführt. Das machte es ihrer Pariser Biografin Peteuil einfacher, diese Wahl- französin aus Berlin als eine der ungewöhnlichsten Gestalten des 20. Jahrhunderts zu porträtieren. Malerei hatte sie studiert, aber sie fühlte sich nicht gut genug. In den 1920ern begann sie, für Zeitungen über Mode zu schreiben. Nach dem Einmarsch der Deutschen lebte sie im Unter- grund. Nach dem Krieg arbeitete sie als Putzfrau in den USA. Zurück in Paris machte sie sich einen Namen als Übersetzerin (von Nabokows „Lolita“). Mit Franz Hessel (1880–1941) war Helen von 1913 bis 1921 und wieder ab 1922 verheiratet gewesen. Sie ist auf dem Friedhof Montparnasse begraben. Henri-Pierre Roché starb 1959.
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