Die Kinos bleiben geschlossen, geplante Filmstarts wurden auf unbestimmt verschoben. Das, was Kino als soziales Ereignis so unverwechselbar macht – nämlich gemeinsam mit vielen anderen einen Film anzusehen –, ist in Zeiten des Coronavirus unmöglich. Ohne Filmstarts keine Filmkritiken?
Österreichische Verleiher machen Film-Angebote über Streamingplattformen zugänglich oder arbeiten daran. Über diese und andere Entwicklungen werden wir Sie natürlich auf dem Laufenden halten. Anstelle aktueller Filmkritiken wird es auf der wöchentlichen Filmseite Schwerpunktthemen rund um das Laufbild, seine Geschichte, seine Gegenwart und seine Zukunft geben.
Wem jetzt bereits aufgrund der Ausgehbeschränkungen die Großstadt abgeht, kann seine urbanen Sehnsüchte mit einem legendären Wien-Film stillen. Die Rede ist nicht von „Der dritte Mann“ (1949), dessen Noir-Bilder mit Orson Welles das Wien-Bild weltweit geprägten haben.
Was für die Nachkriegsgeneration „Der dritte Mann“, war für die „Generation X“ und deren Nachfolgegenerationen der Wien-Film „Before Sunrise“ von Richard Linklater.
Der texanische Hipster-Regisseur hatte bereits mit seinen berühmt verquasselten Low-Budget-Filmen „Slacker“ (1990) und „Dazed and Confused“ (1993) das Lebensgefühl jener beschworen, die irgendwann zwischen Anfang der 60er- und Ende der 70er-Jahre auf die Welt gekommen waren und – oft job- und orientierungslos – durch die 90er-Jahre bummelten.
Mit „Before Sunrise“ fügte Linklater seinem Zeitgeist-Œuvre einen bezaubernden Wien-Film hinzu: Ethan Hawke und Julie Delpy spielen zwei Touristen namens Jesse und Céline, die sich im Zug kennenlernen, spontan beschließen, einen Tag und eine Nacht durch Wien zu schlendern – und sich verlieben.
Vor ziemlich genau 25 Jahren – am 30. März 1995 – startete „Before Sunrise“ in den österreichischen Kinos.
Dass Richard Linklater seine romantische Spazier-Plauderei ausgerechnet in Wien spielen ließ und nicht etwa in Düsseldorf, verdankt sich nicht zuletzt seiner Bekanntschaft mit dem damaligen Viennale-Direktor Alexander Horwath und dessen Partnerin Regina Schlagnitweit. Horwath hatte den Filmemacher mit „Dazed and Confused“ 1993 auf die Viennale eingeladen und entzündete dessen Wien-Liebe; zudem standen Fördermittel des Wiener Filmfinanzierungsfonds (heute Filmfonds Wien) bereit, der fünf Millionen Schilling (360.000 Euro) zur Verfügung stellte. Gedreht wurde in Wien in den Sommermonaten von 1994.
Natürlich durften bei den verliebten Spaziergängen von Jesse und Céline berühmte Monumente wie die Oper oder das Riesenrad nicht fehlen. Doch es gab auch weniger touristische Stadtansichten: Die Arena beispielsweise, das Café Sperl oder der Friedhof der Namenlosen gaben untypische Wien-Bilder ab: „Ein Ort wie der ,Friedhof der Namenlosen‘ war damals noch eher ein Geheimtipp“, meint Regina Schlagnitweit, die für das Streetcasting des Films verantwortlich war und auch sonst während der Produktion kräftig mit anpackte. Sie war es, die ihre Bekannten aus der Musik-, Film- und Journalistenszene ansprach und dafür sorgte, dass ein Querschnitt des Wiener Kulturlebens der damaligen Zeit kleine bis winzige Rollen zu spielen bekam oder als Extras irgendwo im Hintergrund saß oder stand.
„Die Enttäuschung war dann oft doch sehr groß, weil viele gehofft haben, dass sie einen Auftritt im Film bekommen werden“, erinnert sich Schlagnitweit. Doch dem Final Cut fielen so einige zum Opfer; andere wiederum durften ganze Szenen mit Dialogen spielen (siehe unten).
Aber Schlagnitweit brachte auch namhafte Darsteller ins Spiel, die signifikante Auftritte absolvierten: Hanno Pöschl und Andrea Eckert spielen ein Ehepaar, das sich lauthals im Zug streitet; Erni Mangold tritt in exotischem Kostüm am Franziskanerplatz auf und liest Céline für 50 Schilling aus der Hand.
„Sunrise“-Tourismus
Bis heute gibt es Touristen, die auf den Spuren von Jesse und Céline durch Wien wandeln. Zwar sei die Nachfrage nicht ganz so groß wie für den „Dritten Mann“, räumt Walter Straßer, Unternehmenssprecher des Wien Tourismus, ein, doch gebe es genügend Besucher – oft auch aus dem asiatischen Raum –, die gezielt die Drehorte von „Before Sunrise“ aufsuchen.
Das kann auch Hanno Pöschl, nicht nur Mitspieler in "Before Sunrise“, sondern auch Besitzer des "Kleinen Café“am Franziskanerplatz bestätigen, wo Jesse und Céline einen Zwischenstopp eingelegt haben: "Ich bin ja nicht so ein großer Freund des Tourismus, sondern mehr ein Freund der Stammgäste und der Wiener“, sagt Pöschl zum KURIER: "Aber eine witzige Geschichte dazu kann ich schon erzählen: Ein Ehepaar aus Montana kam zu mir ins Café und erzählte mir, dass sie beide, unabhängig voneinander, den Film gesehen und sich exakt genau so kennen gelernt haben. Das, was im Film passiert, haben sie am eigenen Leib erlebt. Mit dem Unterschied, dass sie heute glücklich verheiratet sind.“
Nicht nur die „Generation X“, auch die Millennials und die Nachfolgegenerationen haben den Liebreiz von „Before Sunrise“ für sich entdeckt: „,Before Sunrise‘ spricht die Sprache der 19-Jährigen“, sagt Regina Schlagnitweit: „Wenn du im richtigen Alter bist, verstehst du den Film sofort.“
Und Wien selbst ist sowieso unverkennbar.
Erinnerungen an die Dreharbeiten, Klappe 1: "Ich bin die Kuh“
Wie ich zu dem Ganzen kam? Regina Schlagnitweit wurde von Richard Linklater beauftragt, Typen zu casten. Sie sammelte aus ihrem Umfeld Bekannte, von denen natürlich niemand Nein sagen konnte. Das ergab so eine Art Schwarmverhalten. Wenn der oder die eine mitmacht, dann muss man ja auch ...
Ich hatte zu dieser Zeit schon einen anderen Job als Nebendarsteller, bei einer Produktion von Kurt Palms „Sparverein Die Unzertrennlichen“ mit Hermes Phettberg. In der Remise im zweiten Bezirk spielten wir die Western-Satire „Bringt mir die Hörner von Wilmingtons Kuh“ von Kirk J. Metes. Mit Karl Bruckschwaiger „landete“ ich dann bei „Before Sunrise“ als skurriler Theaterkünstler auf dieser Wienfluss-Fußgängerbrücke bei der Urania. Unser Part war, Julie Delpy und Ethan Hawke Flyer für unsere Aufführung auszuhändigen. Ich finde, das ist uns ganz gut gelungen.
Schade nur, dass gegen Ende des Films Jesse und Celine draufkamen, dass sie auf den Besuch der Theateraufführung vergessen haben. Ein Pech für uns. Aber ich mochte alles an dem Film und bin dankbar, dass ich das Privileg genossen habe, daran mitzuwirken. Ich habe eine Szene daraus in meinem Roman „Irma“ fiktiv weitergesponnen.
Text: Tex Rubinowitz
Erinnerungen an die Dreharbeiten, Klappe 2: "Ein Filmstar wurde nicht aus mir"
Arena-Beisl, später Abend. Ich solle mich an die Bar stellen, hieß es. Neben mir, wie sich herausstellt, ein Typ von der Metal-Band Pungent Stench. Schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans, total man in black. Nur ohne Sonnenbrillen. Pungent Stench hatten gerade eine US-Tournee hinter sich. Und ich eine Filmkarriere vor mir, dachte ich leise.
Ich also mit einem Rocker an der Bar. Die Crew leuchtete den Raum aus. Das dauerte. Wir bekamen Durst, immerhin standen wir an einer Bar. Dann wurde der Ton getestet. Das dauerte noch einmal eine halbe Stunde. Mindestens. Dann kamen die Hauptdarsteller. Ethan Hawke! Julie Delpy! Wir waren hin und weg, durften uns aber nichts anmerken lassen. Schließlich sind wir ja alle ganz normale Typen in einer Bar. Wir Extras aber haben Durst, besonders nachdem die Szene mindestens dreimal gefilmt wurde, bis sie im Kasten war.
Ein Filmstar wurde nicht aus mir, aber immerhin haben wir die Barkeeperin überredet, dass sie uns während des langen Drehs doch ein Bier zapft. Und wenn ich schon keinen Satz hatte, gehe ich in Minute 52 zweimal durchs Bild, während Ethan und Julie im Vordergrund am Flipper stehen. Seither liebe ich Regiefehler.
Text: Bernhard Praschl
Erinnerungen an die Dreharbeiten, Klappe 3: Wo bleibt die Kellnerin?
Meinen ersten und einzigen namentlichen Eintrag als „Actress“ auf der International Movie Database (IMDB) verdanke ich einer Zwei-Wort-Sprechrolle in RichardLinklaters „Before Sunrise“. Besagter Auftritt fand im Café Sperl statt, wo Ethan Hawke und Julie Delpy während ihres Liebesspaziergangs Station machten, während wir Statisten dazu angehalten wurden, im Hintergrund zwanglos die Kaffeehaustische zu bevölkern.
Der Dreh selbst war für den Abend angesetzt, verschob sich allerdings in die frühen Morgenstunden. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir Extras die Wartezeit bereits mit einer gehörigen Menge Alkohol überbrückt. Mein Auftritt bestand darin, gemeinsam mit dem Amerikaner John Sloss an einem Tisch zu sitzen und ein US-Touristenpärchen zu spielen. John, mein „Ehemann“, beschwerte sich in „typischer“ New-York-Manier über die Langsamkeit des Kaffeehauspersonals, während meine Aufgabe darin bestand, ihn (auf Englisch) zu beruhigen.
Ich glaube, ich tat dies – trotz Alkohol – in ganzen Sätzen, übrig blieben nur zwei Worte. Aber wir schafften es in den Final Cut. Dass „Ehemann“ John nicht nur Linklaters Anwalt, sondern auch ein Exec Producer war, hat sicher nicht geschadet.
Kommentare