Oder will die NATO sehenden Auges darauf zugehen, was da an Krisen und Konflikten kommen könnte? Stefanie Babst fordert sie in ihrem soeben erschienenen Buch immer wieder wieder ein: die Wachsamkeit, das Vorbereitetsein und das unverzichtbare Vorausplanen. Denn die deutsche Strategieexpertin, die mehr als 20 Jahre für das NATO-Hauptquartier gearbeitet hat, weiß nur zu gut: Eine langfristige Strategie, wie sie auf das bis vor Kurzem Unfassbare – Krieg mitten in Europa – reagieren kann, hat die NATO nicht. Russlands Überfall auf die Ukraine hat das schmerzhaft bewiesen.
„Schwarze Schwäne“
Jahrelang hatte Stefanie Babst in der NATO den Auftrag „schwarze Schwäne“ aufzuspüren – also Ereignisse, die kaum vorhersehbar sind, aber verheerende Folgen haben. Und bereits ein Jahr vor der russischen Eroberung der Krim hatte Babst Szenarien für ein mögliches militärisches Vorgehen Russlands gegen die Ukraine den NATO-Spitzen zur Warnung auf den Tisch gelegt.
Allein: Entweder wurde die Studie gar nicht gelesen oder politische Entscheidungsträger fanden sie schlicht unpassend. Russlands Präsident Putin sei ein Partner, hieß es nach wie vor, und nicht ein Feind. Zahllosen anderen Studien, etwa jener mit der Warnung vor dem mächtig aufstrebenden China, ging es nicht anders. Sie landeten im Archiv.
Und so schockiert die NATO-Kennerin fast ein wenig mit ihrem kenntnisreichen Blick der Militärallianz von innen. Die NATO – eine riesige, überbürokratisierte, schwerfällige und zuweilen strategisch kurzsichtige Organisation. Babsts nachträglich verfasste Gedächtnisprotokolle – bei den Sitzungen ist ja stets alles superstreng geheim – machen das Buch der strategischen Beraterin lebendig. Und seine Leser nachgerade wütend, zu erfahren, dass viele Entwicklungen schon Jahre zuvor absehbar gewesen wären, wenn man denn nur hätte genau hinschauen wollen.
Umso fester beharrt die in deutschen Medien gefragte Expertin: Jetzt müssen NATO und westliche Politik endlich eine langfristige Strategie gegenüber Russland entwickeln. Und das könne nur eine Strategie der Eindämmung sein – „so ausgerichtet, dass sie von außen zur deutlichen Schwächung des Putinismus beiträgt“. Viele Szenarien zeichnet die Autorin; einige wecken Hoffnung, dass es zu einem langfristigen Frieden kommen könnte.
Wenn es ein Gegenteil des sogenannten Putin-Verstehers gibt, dann ist das wohl Stefanie Babst. Dass sie für ihre kompromisslose Haltung gegenüber dem russischen Regime gute Gründe hat, ist spannend und detailreich in ihrem Buch nachzulesen.
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