Die andere Form von Spitzentanz

doris uhlich
Die Choreografin Doris Uhlich bricht Konventionen und will gesellschaftliche Codes knacken.

Wie ein gestorbener Schwan liegt sie da. In Tüllrock und Lederjacke. Zu den Takten des Survivor-Schlagers „Eye of the Tiger“ richtet sie sich auf. Zieht den Tüllrock, unter dem sie eine Adidas-Hose trägt, aus und sagt in österreichisch gefärbtem Englisch, sie habe davon geträumt, in New York entdeckt zu werden. Aber leider. „It did not happen.“ Auch vom Fernsehballett habe sie geträumt. Doch leider. Did not happen. Und von Freundschaft mit Madonna. Did not ...

Was tatsächlich geschah: Tschernobyl, Mauerfall, Irakkrieg.

Am Ende wird sie sich einen Motorradhelm aufsetzten und rennen, bis die Bühne finster wird. Auferstehen wird der Schwan als überlebensgroße, auf die Bühne projizierte Ballerina. Queen werden dazu singen: „We are the Champions.“

„Rising Swan“: Eine typische Uhlich-Performance. Weltgeschehen und immer in bisschen etwas von der eigenen Biografie dabei. Dazu augenzwinkernde Ballettreminiszenzen und Pop. Sie liebe Pop, sagt Uhlich, er spiegle Lebenshunger wieder.

Doris Uhlich ist Tänzerin und Choreografin. Ihr Produktionen tragen Namen wie „Sackl du Printemps“, oder „Come Back“, mit dem sie zuletzt Erfolge feierte. Vier ehemalige Balletttänzerinnen und ein Tänzer zwischen 56 und 71 blicken zurück auf ihre Tanzkarriere. Darunter die formidable Susanne Kirnbauer, einst Primaballerina der Staatsoper. Ein humorvoller, berührender Abend. Auch das ist typisch Uhlich: Es menschelt.

„Come Back“ ist der dritte Teil einer Trilogie, in der Uhlich die strengen Formen des klassischen Balletts auslotet. In „SPITZE “ setzt sie sich mit der romantischen Idealisierung der Ballerina auseinander. Mit 30 hat sie dafür Spitzentanz gelernt. In „Rising Swan“ lässt Uhlich den sterbenden Schwan wiederauferstehen.

Dirty Dancing

Die mehrfach Ausgezeichnete (unter anderem „Outstanding Artist 2013“ im Bereich darstellende Kunst) tanzte in London, Brüssel und Paris. Der Erfolg der 35-jährigen studierten Tanzpädagogin war nicht vorprogrammiert.

Uhlich kommt nicht aus eine Künstlerfamilie und ist in vieler Hinsicht anders, als man sich eine Tänzerin vorstellt. Die Weichen wurden mit der Fernsehserie „Anna“ gestellt, da war sie gerade elf. „Wegen ihr hab’ ich angefangen zu tanzen.“ Dann kam „Dirty Dancing“. Da hat sie endgültig Blut geleckt.

Sie war kein zartes Mädchen. „Ich war schon immer kräftiger veranlagt“. Ob ihr jemand von der Tanzkarriere abgeraten habe, weil sie nicht dünn genug sei? „Natürlich hab ich das oft gehört. Ich besuchte die Landesmusikschule am Attersee, dort gab es nur Ballett- und Stepunterricht. Die Klavierlehrerin hat zu mir gesagt: ,Was, du mit deiner Figur willst tanzen?‘ Das war ein Schubs für mich, da hab’ ich mir gedacht: Ich mach’ es trotzdem. So oberflächlich kann man doch nicht jemandem etwas verbieten! Das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen.“

Ihre Eltern haben sie immer unterstützt: „Mein Papa konnte mit Tanzpädagogik nichts anfangen, aber er sagte: ,Wenn du etwas gerne machst, wirst du es gut machen.‘“

Die Mama

Uhlichs Arbeit hat fast immer mit dem Brechen von Konventionen zu tun. Mit dem Zugehörigsein – oder nicht. Andere Körperformen oder ältere Menschen sieht man selten auf einer Ballett-Bühne. Es geht um gesellschaftliche Codes, die es zu knacken gilt. Dass sie mit ihrer stark biografiebezogenen Arbeit auch Risiken eingeht, ist ihr bewusst. So wie in der Arbeit „Uhlich“, in der ihre Mutter die Hauptrolle spielt. „Mein Name ist Uhlich“, sagt Gertraud Uhlich da auf der Bühne und spielt ihre eigene Tochter, die 30 Jahre ihres Lebens überspringt. Es ist ungewohnt, wenn die Tochter der Mutter Regieanweisungen gibt. Drei Mal musste Uhlich nachfragen, bevor ihre Mutter zustimmte. Daraus entstanden auch skurrile Situationen: „Wir begannen bei uns am Badeplatz am Attersee zu proben, das war oft absurd. Aber die Mama ist so präsent, dass alle glaubten, sie ist Schauspielerin.“

Anders Rauchen

Trotz dieser vermeintlichen Authentizität: „Man darf nicht vergessen – es ist eine künstliche Welt. Wenn meine Mutter auf der Bühne steht: Es ist nicht die Mama im Garten, sondern eine Performerin. Die Mama raucht auch auf der Bühne anders. Man sucht auf der Bühne immer einen performativen Zustand, der sich selbst sehr nahe ist. Natürlich sein auf der Bühne ist das Schwierigste. Eine Choreografie zu tanzen ist viel leichter, als die Doris zu sein, die nackert auf der Bühne telefoniert.“ Es könne so schnell in schlechtes Schauspiel, in eine Künstlichkeit kippen, sagt Uhlich. Doch die Gefahr besteht nicht: Es wird nie vulgär, wenn es bei Uhlich menschelt.

Bei ImPulsTanz zeigt sie im August „more than naked“, das sie mit Tänzern aus ihrem Profi-Workshop entwickelt hat. Es geht darin um Nacktheit als gesellschaftspolitisches Phänomen. In der Nacktheit liege eine Delikatesse. „Irgendwann kommst du als Tänzer an den Punkt, wo dich dein Körper in seiner Nacktheit interessiert. Du fragst: Was tanzt denn da eigentlich?“

Vor zwei Jahren entdeckte sie die Marktlücke Nackt-Tanz als Unterricht. „Bei mir tanzt das Fett. Wir finden eine Tanztechnik dahinter. Die Fetttanztechnik und die Fleischtanztechnik.“ Mit Dicksein hat das allerdings nichts zu tun: „Auch Dünne haben etwas zu erschüttern. Wenn das nackte Fleisch fliegt, passiert eine Form von Befreiung.“

Wovon? „Es lastet viel auf den Menschen. Der Köper ist ja ein Sammelsurium, man lagert Dinge ein, deren man sich nicht bewusst ist.“

Das Kulturministerium hat eine Projektförderung für „more than naked“ abgelehnt. Es geht unter anderem davon aus, dass ImPulsTanz Geld vom Bund bekommt und das ausreichen sollte. In Zeiten notwendiger Koproduktion und komplexer Mischfinanzierung künstlerischer Projekte eine überraschende Vorgangsweise.

Die 1977 in Oberösterreich geborene Tänzerin und Choreografin studierte Pädagogik für zeitgenössischen Tanz am Konservatorium der Stadt Wien und spielte acht Jahre im theatercombinat. Eigene Projekte verwirklicht sie seit 2006.

more than naked

Beim ImPulsTanz-Festival wird sie ihr Stück „more than naked“ zeigen, das sie mit 20 Tänzerinnen und Tänzern eines Workshops 2012 entwickelt hat. Uraufführung ist der 5. August.

Außerdem bietet Uhlich bei Impuls den Workshop Ruhestandstanz an (20., 21. 7).

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