Die "Abenteuerlust", möglichst viele Juden zu retten
Der Filmtitel stammt von Benjamin Murmelstein. Er selbst nannte sich – in Anlehnung an den jüdischen Roman „Der Letzte der Gerechten“ -– mit leiser Ironie „Der Letzte der Ungerechten“. Unter diesem Namen präsentierte „Shoah“-Regisseur Claude Lanzmann heuer in Cannes seine knapp vierstündige Doku (derzeit im Kino).
Schon 1975 war der heute 87-jährige Lanzmann nach Rom gereist, wo er Murmelstein eine Woche interviewte. Elf Stunden Material entstanden, in denen er den umstrittenen Murmelstein zu seiner Rolle im Holocaust befragte. Der ehemalige Wiener Rabbiner gilt als einzig Überlebender der „Judenältesten“: So nannten die Nazis abfällig jene Vorsitzende der Judenräte, die für die Umsetzung deutscher Anweisungen in den Gettos Verantwortung trugen. Murmelstein war von Dezember 1944 bis Kriegsende Judenältester von Theresienstadt. Danach saß er 18 Monate in Haft, ehe man ihn vom Verdacht der Kollaboration freisprach. Er hatte 121.000 Menschen zur Flucht verholfen.
Auch, dass Murmelstein das Wort „Abenteuerlust“ verwendet, wenn er von seinen Aufgaben spricht, kann Lanzmann nachvollziehen: „Murmelstein war damals jung und fühlte, dass er eine Mission hatte. Er wollte möglichst vielen Juden bei der Flucht helfen.“
Anderer Ton
Warum Lanzmann das Material so lange zurückhielt, und nicht für „Shoah“ verwendete, ist leicht erklärt:
„,Shoah‘ ist ein Epos, das einen tragischen Ton hat. Murmelstein aber schlägt einen Ton an, der nicht dazugepasst hätte. Er hat eine andere Perspektive auf die gleiche Geschichte. Damals konnte ich sie nicht verwenden. Und ich hatte immer vor, einmal zu diesem Material zurückzukehren.“
1925 in Paris geboren, war 1943 einer der Organisatoren der Résistance. Als Lektor an der Berliner Uni lernt er 1952 während der Berlin-Blockade Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir kennen. 1974 begann er an seiner Holocaust-Doku „Shoah“ zu arbeiten, die ihn zwölf Jahre beschäftigte. Der Film wurde zum historischen und kinematografischen Ereignis.
Weitere Filme: „Ein Lebender geht vorbei“ (1997), „Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr“ (2001) und „Der Karski-Bericht“ (2010).
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