Brummende Diagonale in Graz: Zwischen superreich und Dreck
Zur Eröffnung der Diagonale in Graz macht sich traditionellerweise immer der Frühling bemerkbar. Heuer jedoch fühlt er sich an wie Sommer.
Trotzdem entscheidet sich das Publikum bei der Wahl zwischen Eisgeschäft und Kino zugunsten des österreichischen Films. Die Kinosäle brummen, die Gespräche zwischen Filmemachern und Zuhörern sind lebhaft.
Auch die Diskussionen innerhalb der heimischen Branche finden große Resonanz – etwa zu brennenden Fragen wie den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die Filmproduktion.
Schon bei der Eröffnung in der ausverkauften Liszt-Halle lieferte Schauspielerin Hilde Dalik („Vorstadtweiber“) mit ihrer humorvollen Moderation einen schwungvollen Auftakt und brachte mit Scherzfragen wie „Warum meidet das Publikum den österreichischen Film?“ den Saal zum Lachen.
Die neu bestellte Festivalintendanten Claudia Slanar und Dominik Kamalzadeh wünschten sich in der Eröffnungsrede ihr erstes Festival als eine „freie Zone des Austausches“: Als einen Ort, wo man in Ruhe zuschauen und zuhören kann – und vielleicht auch manchmal seine eigene Komfortzone verlässt.
Zuschauen und Zuhören steht definitiv im Zentrum von Ruth Beckermanns Doku „Favoriten“:
Mit empathischem Blick begleitete die renommierte Regisseurin über drei Jahre hinweg Kinder einer Volksschulklasse im „Brennpunktbezirk“ Favoriten, deren Muttersprache nicht deutsch ist.
Die engagierte Klassenlehrerin begegnet ihren kleinen Schülern immer auf Augenhöhe, lockert den anstrengenden Unterricht mit coolen Dance-Moves auf und schlichtet souverän Konflikte. Religion ist ein wichtiges Thema im Unterricht, Lehrausflüge führen sowohl in die Moschee als auch in den Wiener Stephansdom. Dort werden sie freundlich von Dompfarrer Toni Faber begrüßt, der auf Kinderfragen mitunter verblüffende Antworten findet („Wo ist Jesus?“ – „Jesus ist im Brot.“)
Der Dokumentarfilmbereich ist bewährt stark innerhalb des heimischen Filmschaffens und greift virulente Themen auf. Dabei beschäftigen sich auffallend viele Filme im Programm mit Pflege und reflektieren die Probleme einer stark alternden Gesellschaft.
Rund um die Uhr
Exemplarisch für das Thema Fürsorge nennt Harald Friedl „24 Stunden“, das Porträt einer rumänischen Pflegerin . Rund um die Uhr betreut Sadina Lungu eine demente Dame in Bad Vöslau.
Sorgfältig konzentriert sich Friedl dabei in seinen Beobachtungen auf die Routinen einer temperamentvollen Frau, deren Bewegungsradius sich auf kurze Ausflüge zur Apotheke oder zum Bäcker beschränkt. Ansonsten ist Sadina rund um die Uhr im Haus mit Baden, Füttern, Wickeln und Putzen beschäftigt. Abends telefoniert sie mit ihren Eltern zuhause in Rumänien, einmal auch mit ihrer Schwester, die ebenfalls als Pflegerin in Österreich arbeitet: Sie werde von den Verwandten ihrer Patientin wie Dreck behandelt, erzählt die aufgelöst und weint ins Telefon.
Sadina wird nicht wie Dreck behandelt, aber die Monotonie ihres Tagesablaufs ist betäubend. Als eine von 60.000 Pflegerinnen, deren Arbeitsbedingungen von der österreichischen Pflegereform weitgehend ignoriert werden, ist ihre Leistung enorm. Wann sie zurückkomme, will ihr Vater bei ihrer Abreise nach Österreich wissen: „Wenn ich erschöpft bin.“
Mit dem komplett anderen Ende des gesellschaftlichen Spektrums beschäftigen sich Daniel Hoesl und Julia Niemann in ihrer gewitzten Farce „Veni Vidi Vici“, die in Graz Österreich-Premiere feierte. Gerne unter dem Schlagwort „Rich Porn“ eingeordnet, nehmen Hoesl und Niemann treffsicher die Klasse der Superreichen aufs Korn.
Rich Porn
Laurence Rupp als amoralischer Geschäftsmann schießt in seiner Freizeit gerne Menschen vom Fahrrad. Das weiß zwar jeder, aber seine Verflechtungen in korrupte Politikerkreise halten ihm den Rücken frei. Außerdem wirkt seine Amoralität sexy, seine Grausamkeit faszinierend; da hat keiner Lust auf Mitleid mit den Opfern. Viel lieber im Windschatten des Erfolges mitsegeln. Genussvoll zelebrieren Hoesl und Niemann die Faszination elitärer Fassaden, verzichten aber auch nicht auf den sardonischen Blick hinter die Kulissen. Was sich dort abspielt, liefert den starken Stoff für eine raffiniert geschneiderte, hochgradig unterhaltsame Satire.
Vielleicht die erste romantische Mainstream-Komödie, in der lesbische Frauen im Mittelpunkt stehen, stammt wiederum von Kat Rohrer. Die Regisseurin engagierte prominente Schauspielerinnen wie Caroline Peters und Proschat Madani, die in „What a Feeling“ ihre Gefühle füreinander entdecken. Madani spielt eine umtriebige Tischlerin, die ihren Kundinnen nicht nur die Küche repariert. Als sie zufällig auf eine frisch getrennte Ärztin trifft, fliegen die Funken – bis zum finalen Feuerwerk.
Kommentare