Diagonale startet mit tollen Debüts
Nachdem die Diagonale in Graz Dienstagabend mit Ulrich Seidls "Paradies: Hoffnung", dem letzten Teil seiner "Paradies"-Trilogie, und der Verleihung des großen Diagonale Schauspielpreises an Maria Hofstätter eröffnet wurde, geht es am Mittwoch mit den Feierlichkeiten zu Ehren des österreichischen Films unverzagt weiter. Schon die 11h-Vorstellung ist ausverkauft und der erste Festival-Tag zeichnet sich durch ein unglaublich abwechslungsreiches und hochspannendes Programm junger, österreichischer Filmemacher aus.
"Gehen am Strand"
"Gehen am Strand" von Caspar Pfaundler ist die erste Uraufführung an diesem Mittwoch. Anja prokrastiniert in ihrer Wohnung vor sich her und versucht verzweifelt mit ihrer Diplomarbeit voranzukommen. Anfangs entdeckt man an der Ende-20-jährigen noch liebevoll neurotische Seiten, wenn sie verträumt in fremder Leute Fenster blickt und sich von der Stimmung Unbekannter einen kurzen Moment lang anstecken lässt. Doch Anja wirkt fast wie ein Alien im spätsommerlichen Wien; nicht nur weil ihr die Interaktion mit ihrer Umwelt nicht so recht gelingen mag, sondern auch, weil sie völlig abgeschottet ohne Handy und Internet (sie hat die Rechnungen nicht bezahlt) in den Tag hineinlebt. Das bietet zwar Platz für die kleinen Freuden des Lebens - zum Beispiel wie erfreulich die Bewegungen eines Puddings sein können - aber auch für jede Menge Leere.
Dann stirbt plötzlich ihre geliebte Großmutter. Anja muss nach Holland reisen und sieht sich mit ihrer gesamten Familie konfrontiert. Anja erkennt, dass ihr etwas Essenzielles fehlt, das Selbstverständnis, einfach sein zu dürfen. Elisabeth Umlauft zeichnet in ihrer ersten Filmrolle das Porträt einer zutiefst einsamen Frau in einer derartigen Farbenpracht, dass einem das Popcorn im Hals stecken bleibt. Pfaundlers Darsteller durften das Drehbuch übrigens vorab nicht lesen. Die Szenen wurden immer erst kurz vor dem Dreh besprochen und dann improvisiert. Diese Art zu arbeiten hat nur einen chronologischen Dreh zugelassen. Ein Luxus, den man sich sonst eher selten leistet."Gehen am Strand" von Caspar Pfaundler. Mit Elisabeth Umlauft, Harry Lampl, Claudia Martini, Karl Fischer u.a. Spielfilm, AT 2013, 112 min, OmeU
"Der Glanz des Tages"
Aber auch Tizza Covi und Rainer Frimmel haben chronologisch gearbeitet, um die Entwicklung ihrer Figuren so realistisch wie möglich darzustellen. In "Der Glanz des Tages" trifft der ehemalige Bärenringer Walter (Walter Saabel) auf seinen Neffen Philipp (Philipp Hochmair). Beide Darsteller kennen die Regisseure schon lange. Die Geschichte vom gealterten Zirkusartisten, der sich auf der Suche nach seinen Wurzeln und der Sehnsucht nach der großen See, nach Hamburg und schließlich nach Wien verirrt, basiert auf einer wahren Geschichte. Dem "Laien" Saabel sei es dabei wesentlich einfacher gefallen, sich selbst zu spielen, als dem Bühnenstar Hochmair, so Covi im anschließenden Gespräch.
Philipp, permanent auf Achse, bereitet sich gerade auf seine große "Woyzeck"-Premiere vor, als Walter in sein Leben tritt. Eigentlich hat er gar keine Zeit dem aufdringlichen Onkel ein gebührender Gastgeber zu sein. So unterschiedlich die beiden zu Beginn aufeinander wirken, erkennen sie doch relativ schnell Gemeinsamkeiten. Die Szene in der Walter wieder das Messerwerfen trainiert und zwar ausgerechnet an einer speziell vom Burgtheater in Auftrag gegebenen Statue, die Philipp darstellt, ist zum Brüllen. Und nachdem Walter offensichtlich seine eigene Familie nicht kitten kann, versucht er es bei Philipps Nachbarn aus Moldawien. Dessen Frau, Mutter zweier Kleinkinder, die in Wien beim Vater leben, darf nicht nach Österreich einreisen, worauf Walter einen abenteuerlichen Rettungsversuch unternimmt.
Covi und Frimmel haben als Regiepaar erneut unglaubliches Feingefühl bei der Auswahl ihrer Charaktere, deren Geschichten und ihrer Erzählform bewiesen.
"Der Glanz des Tages" von Tizza Covi und Rainer Frimmel. Mit Philipp Hochmair, Walter Saabel, Vitali Leonti u.a. Spielfilm, AT 2012, 92 min, OmeU
"Zweisitzrakete"
Auch wenn die Geschichte von Hans Hofers "Zweisitzrakete" im Vergleich eher mau ist, ist es doch eine wahnsinnig unterhaltsame und märchenhafte Liebeskomödie made in Austria. Simon Schwarz ist in der Rolle eines Sexualtherapeuten schlichtweg fantastisch. "Mission Impossible" im Technischen Museum und Manuel Rubey, der versucht seiner beste Freundin (Alissa Jung) die Sterne vom Himmel zu holen.
"Zweisitzrakete" von Hans Hofer. Mit Manuel Rubey, Alissa Jung, Simon Schwarz, Thomas Stipsits, Alexander Jagsch u.a. Spielfilm, AT 2013, 92 min
"Schlagerstar"
"Man muss nicht Schlagerstar sein, um 'Schlagerstar' zu mögen", so Diagonale-Chefin Barbara Pichler im Vorfeld zu Marco Antoniazzis und Gregor Stadlobers Doku über den mehrfach Platin-ausgezeichneten Volksmusiker Marc Pircher. "Schlagerstar" gibt Einblicke in die österreichische Volksmusikszene mit all ihren Abgründen, Klischees und "Arschkriechereien". Und auch wenn das Diagonale-Publikum wohl eher nicht zur klassische Zielgruppe von Marc Pircher, Hansi Hinterseer und AndreasGabaliergehört, kam es dennoch in Scharen, um sich von dem Irrsinn mal ein Bild zu machen. "Mit meiner Musik kann man wenigstens noch Geld verdienen", wehrt sich Pircher gegen die üblichen Kritiker. "Da rollt der Rubel." Und das kann man sehen. Aber die Arbeit ist hart, denn zwischen Auftritten im Bierzelt und am Luxusdampfer müssen noch zahlreiche Hände geschüttelt, Autogramme gegeben und eingängige Nummern geschrieben werden.Wer will heute feiern? Hände in die Höh’!"Schlagerstar" von Marco Antoniazzi und Gregor Stadlober. Mit Marc Pircher, Manfred Wagner, Franz Wolf u.a. Dokumentarfilm, AT 2013, 90 min, OmeU
"Talea"
Katharina Mücksteins Erstlingswerk "Talea" sei "ein gutes Beispiel für die zahlreichen tollen Debüts dieses Jahr", so Pichler. Die Haneke-Schülerin sorgt mit großen Emotionen - ohne dass viel gesprochen wird - und einer beeindruckenden Atmosphäre für einen krönenden Abschluss des ersten Tages.
Es ist die Geschichte der 14-jährigen Jasmin (Sophie Stockinger - grandios), die auf der Suche nach sich selbst, den Kontakt mit ihrer leiblichen Mutter (Nina Proll - facettenreich wie selten) einfordert, die gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Die beiden verbringen ein Wochenende im Waldviertel miteinander und müssen einsehen, dass sie das noch unbekannte Mutter-Tochter-Verhältnis vor ziemliche Herausforderungen stellt.
Zu der Geschichte wurde Co-Autorin Selina Gnos von der wegen zweifachen Mord verurteilten Eissalon-Besitzerin Estibaliz C. inspiriert, die schwanger ins Gefängnis kam. Der Film ist so etwas wie die Fortsetzung 14 Jahre später. "Talea" ist ein unglaublich sensibler und einfühlsamer Film mit wunderschönen Einstellungen, und Hauptdarstellerin Sophie Stockinger "spielt wie eine ausgebildete Schauspielerin", so die Regisseurin. Wie recht sie hat.
"Talea" von Katharina Mückstein. Mit Sophie Stockinger, Nina Proll, Philipp Hochmair, Rita Waszilovics, Eva-Maria Gintsberg, Andreas Patton, Lili Epply, Megan Werther u.a. Spielfilm, AT 2013, 75 min, OmeU
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