Endlich "Nägel mit Köpfen" machen

Endlich "Nägel mit Köpfen" machen
Interview: Mit "Mein halbes Leben" gewann Marko Doringer 2008 den Diagonalepreis. Nun fühlt er den Mittdreißigern auf den Zahn.

Am Schluss ist von der Wurst nichts mehr da. Scheibe für Scheibe wird runter geschnitten vom Herrn Doringer.“ Das sagt der Regisseur Marko Doringer in seinem neuen Film "Nägel mit Köpfen" (derzeit in den Kinos). Der 1974 in Salzburg geborene Regisseur macht sehr persönliche Filme, in die er sein eigenes Leben stark einbringt.

2009 erzielte er mit seinem ersten Film "Mein halbes Leben" (am 14.3., 22:35, in ORF III), der mit dem Großen Diagonale Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde, einen beachtlichen Kinoerfolg. Die unterhaltsame Doku, in der er seine eigene Krise nach dem Überschreiten des 30. Lebensjahres sezierte, lockte mehr als 26.000 Österreicher in die Kinos. Nun ist eine Art Fortsetzung entstanden.

Am Ende von "Mein halbes Leben" lernte er Marlene kennen. In "Nägel mit Köpfen" haben Marko und Marlene erste Beziehungsaufgaben zu bewältigen: Zusammenziehen in Berlin, Diskussionen, Alltagsprobleme. Und wie geht das Leben weiter?

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Diese Frage stellen sich im Film drei weitere Paare, die endlich gerne "Nägel mit Köpfen" machen würden. Da sind zum Beispiel Klaus und Silke, die im hypermodernen Dubai leben. Klaus hat es als Manager geschafft. Doch der Kinderwunsch blieb bisher unerfüllt. In-vitro-Fertilisation soll es nun richten. "Die Unfruchtbarkeit des Mannes ist nach wie vor eines der großen Tabuthemen in unserer Gesellschaft, obwohl das immer mehr zunimmt," sagt Marko Doringer im KURIER-Gespräch.

Neo-Biedermeier?

Aber es sind nicht nur gesellschaftspolitische Probleme, die in "Nägel mit Köpfen" thematisiert werden. Die Diskussionen mit Marlene entzünden sich vor allem am Erstellen des Putzplans. "Statistisch gesehen ist das Thema Putzen der häufigste Trennungsgrund," meint Doringer. "Es klingt sehr oberflächlich, aber genau solche Alltagsthemen prägen eine Beziehung sehr stark".

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Ein Film mit Diskussionen über Nestbau und Putzen - da kann man sich schnell den Vorwurf des Neo-Biedermeier einfangen. Die österreichische Filmbewertungskommission etwa schrieb, dass der Film die Kommissionsmitglieder polarisiert habe: Die eine Gruppe sei folgender Ansicht: "Selbstironisch zeichne Doringer, fast der Woody Allen Österreichs, Beziehungsprobleme, bei denen der Zuseher emotionalisiert wird, finde Identifikationsebenen und schätze die Authentizität, Uneitelkeit und Unverstelltheit der Protagonisten". Der andere Teil der Kommission sah "Pseudoprobleme, die banal von angepassten Paaren in klischeehafter Darstellung breitgetreten würden."
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Doringers Film erzählt aber nicht bloß von kleinen Problemen. Nikola und Thomas etwa, ein homosexuelles Paar, sehen sich an ihrem Wohnort Belgrad homophoben Anfeindungen ausgesetzt. Nur auf Reisen können sie wirklich befreit durch die Straßen gehen. Der Regisseur wollte das Paar aber dennoch unaufgeregt in Szene setzen: "Es fällt kein einziges Mal das Wort 'schwul'. Es ist einfach eines von vier Paaren im Film. Es gibt viele Menschen, die kein schwules oder lesbisches Paar kennen. Da gibt's nach wie vor Berührungsängste. Daher wollte ich so ein schwules Leben zeigen, um zu zeigen: Sie haben im Endeffekt genau die selben Themen wie jede andere Beziehung".

Eine mobile Generation

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Das Hauptthema des vierten Paares, Hannes und Silke, betrifft ebenfalls die gemeinsame Zukunft. Hannes lebt als Musiker in Berlin, Silke ist als Schauspielerin viel und lange auf Reisen, was die Beziehung belastet. "Wir sind eine sehr mobile Generation," meint der Regisseur, "im Vergleich zu unseren Eltern, die oft ihr Leben dort verbracht haben, wo sie geboren sind, ändern wir unseren Wohnsitz sehr oft, aus beruflichen Gründen oder wegen Beziehungen. Das hat schöne Seiten, unser Horizont ist in manchen Dingen weiter gesteckt, aber es hat natürlich auch negative Seiten: Durch das Immer-wieder-Umziehen lassen wir auch sehr viel zurück, vor allem Freundschaften. Ein Aspekt ist, dass wir uns vielleicht etwas alleine fühlen in der Welt".

Ausgehend davon, ortet Doringer "in unserer Generation wieder eine größere Sehnsucht nach einer gewissen Beständigkeit in der Partnerbeziehung, als noch vor zehn oder zwanzig Jahren, sei es mit oder ohne Kinder. Es ist wieder eine andere Frage, ob uns das gelingt".

Krise der Mittdreißiger

Die Probleme und Träume der "Thirtysomethings" wurden gerade in den letzten Jahren sowohl in Filmen als auch in Büchern intensiv behandelt. Woran das liegen könnte? Doringer: "Wir sind eine Generation, die sehr viele Möglichkeiten hat, das Leben so zu gestalten, wie wir es wollen, im Vergleich zu unseren Eltern, die vielleicht nur einen fix vorgegebenen Weg gehabt haben, und diesen dann runterlatschen mussten. Egal, ob der ihnen Spaß gemacht hat oder nicht. Wir haben zehn mögliche Wege. Das ist natürlich einerseits toll, ist aber auch mit gewissen Schwierigkeiten verbunden. Wir müssen uns für irgendwas entscheiden. Und wenn wir uns entscheiden, heißt das, dass wir auf neun andere Optionen verzichten müssen".

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"So lange mein Leben nicht so ist wie im Bilderbuch, zweifle ich," sagt Marko Doringer in einer Filmszene. Ob das nicht ein hoher Anspruch ist? "Klar, aber ich glaub, der steht sehr wohl repräsentativ für unsere Generation," meint Doringer. Wenn du in der Nachkriegszeit nur einen Weg hast, und der heißt, überspitzt gesagt, 'Wiederaufbau', dann hast du ganz klare Ziele. Wir haben Luxusprobleme. Aber es sind dennoch reale Probleme. Wir starten auf einem sehr hohen Level, weil wir im Vergleich zu unseren Eltern schon sehr viel haben, und damit steigt automatisch auch der Anspruch. Unsere Generation träumt von einem ideal, kann aber nicht sagen, was dieses Ideal überhaupt ist. Zumindest geht's mir so. Ich suche etwas, von dem ich gar nicht weiß, was es wirklich ist".

Tauschen mit früheren Generationen will der Regisseur aber nicht. "Ich finde es ja super, wie mein Leben ist. Aber trotzdem ist man irgendwie unzufrieden. Es ist ja nicht das eine oder das andere, sondern immer beides".

Dokumentarfilm im Aufwind

Doringer kann sich auch vorstellen, noch einen dritten Film an die bisherigen anzuschließen. "Wenn ich ein Thema finde, das mich interessiert, und das von Bedeutung für meine Generation sein kann, warum nicht?" Auch wenn er das dokumentarische Material seiner Filme durchaus spielfilmartig in Szene setzt - in einer Szene bleiben er und seine Freundin Marlene mit dem Auto im Schlamm stecken -, so möchte Doringer dennoch vorerst beim Dokumentarfilm bleiben.

Dort befindet er sich auch in guter Gesellschaft, denn immer mehr Dokus schaffen es in die Kinos. Worin Doringer diesen Erfolg begründet sieht? "Vielleicht weil der Dokumentarfilm auch persönlicher geworden ist. Dass man sich heute auch mit kleineren Themen beschäftigen kann, die aber für die Personen, die es betrifft, einen sehr großen Wert haben. Das liegt auch daran, dass die technischen Möglichkeiten andere sind als noch vor 10-15 Jahren. Du brauchst heute kein großes Team mehr, kannst viel persönlicher arbeiten, weil die Technik einfach kleiner geworden ist".

Österreichs Filmlandschaft

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Auch beim Filmfestival Diagonale laufen viele Dokumentarfilme und vor allem kleinere Produktionen. Die kleinteilige österreichische Filmlandschaft scheint wie darauf zugeschnitten. "In Deutschland gibt es natürlich größere Fördertöpfe," sagt Doringer, "was aber zur Folge hat, dass dort viel mehr große Produktionen gefördert werden. Und Österreich konzentriert sich aufgrund der Mittel auf kleine und mittlere Projekte, die dann aber vielleicht größeres kreatives Potenzial haben. Und das ist vielleicht eine der Zauberformeln, warum der österreichische Film dann doch auch relativ erfolgreich ist".

INFO: "Nägel mit Köpfen" (Ö/D 2013), Regie: Marko Doringer; derzeit in den Kinos; Österreich-Premiere war am 27. Februar im Rahmen eines Diagonale Kick-Off in Graz

Doringers Vorläuferfilm "Mein halbes Leben" (Ö 2008) wird am 14. März, 22:35, in ORF III als "Diagonale Spezial" gezeigt.

Die Filme der Diagonale 2013:

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