Diagonale-Schwerpunkt: "Weil es um die Gegenwart geht"

Vienna is Different: 50 Years after the Anschluss
Schwerpunkt "Waldheim-Jahre" in Elizabeth T. Spiras "Am Stammtisch" und "Vienna Is Different".

Die gute Laune am Stammtisch in Graz ist gespenstisch. Ältere Herren, die mit glänzenden Gesichtern im Wirtshaus vor sich hin poltern und Erinnerungen an den Krieg austauschen. Dann kommen sie in der Gegenwart des Jahres 1988 an: "Der Waldheim ist ein armer Teufel", sagt einer im Brustton der Überzeugung: "Von den Juden aufgepulvert." Seine Kameraden sind derselben Meinung. Und so geht es munter weiter in den Männerrunden, die die renommierte Filmemacherin Elizabeth T. Spira für ihre "Alltagsgeschichte" besucht hat.

Nie ausgestrahlt

Diagonale-Schwerpunkt: "Weil es um die Gegenwart geht"
Alltagsgeschichten Pressebild - Im Zusammenhang über den Film honorarfrei
"Am Stammtisch" nannte Spira ihren "Heimatfilm", den sie 1988 drehte, der dann vom ORF nie ausgestrahlt wurde und nun auf der Diagonale in Graz Premiere feierte. Spira besuchte Stammtische in Wien, Graz, Kärnten und Tirol. Fast ausschließlich sind es Männer, die da rauchend und trinkend zusammensitzen und ihre Meinungen über Junge, Juden und Ausländer austauschen. Frauen sind meist nicht erwünscht.

Wie heißt es, dieses schwierige Wort, versucht sich eine Kärntner Pfeifenraucher zu erinnern: "Emanzi.. panzi... panzi...?" Egal, zu schwierig. Dann schon lieber die Bibel zitieren: "Die Frau ist dem Mann untertan."

Besonders das junge Grazer Kinopublikum bricht immer wieder in fassungsloses Gelächter aus, wenn die Stammtischbrüder ihre modrigen Meinungen zum Besten geben. Doch das Lachen vergeht einem schnell, wenn Sätze wie "Der Jud’ soll a Ruah geben" fallen, oder "I hob wos gegen die Ausländer".

Drei Mal sei "Am Stammtisch" angekündigt, drei Mal mal verschoben und schließlich völlig von der Bildfläche verschwunden, erinnert sich Spira im Publikumsgespräch. Ohne offizielle Begründung; später wurde angedeutet, es lag an der Sorge, das Ausland könne Österreich für antisemitisch halten.

"Österreich: zum Vergessen" nennt sich das historisches Special im Diagonale-Programm, in dem das neu bestellte junge Intendanten-Duett Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger filmische Auseinandersetzungen mit Österreichs jüngerer Vergangenheit präsentiert; nicht zuletzt auch, um einen Blick auf das heutige österreichische Selbstverständnis – etwa im Angesicht der Flüchtlingskrise – zu werfen.

Maximilian Schell

"Warum muss ich mich immer mit der Vergangenheit auseinandersetzen?", will ein junger Bursche in einer Fernseh-Diskussion wissen. Er hat die Nase voll von der Debatte rund um Kriegsschuld und die Wahl Waldheims zum Bundespräsidenten.

"Weil es um die Gegenwart geht", antwortet Maximilian Schell, Teilnehmer der Diskussion, souverän.

Diese Szene stammt aus der Doku "Vienna is Different: 50 Years after the Anschluss" der New Yorkerin Susan Korda. Korda war 1988 anlässlich des Gedenkjahres "50 Jahre ,Anschluss‘" Österreichs an das Deutsche Reich nach Wien gereist. In "Vienna is Different" entwirft sie ein Stimmungsbild zwischen strammen Holocaust-Verleugnern und Anti-Waldheim-Demonstranten. Auch das Selbstbild Österreichs und seine "Opferrolle" im Zweiten Weltkrieg wird immer wieder beschworen.

Was bedeutet das alles für uns heute, im Angesicht eines Rechtsrucks in Europa?, will Moderator und Programm-Mitgestalter Alejandro Bachmann wissen.

Die Antwort darauf wird uns nicht nur auf der Diagonale noch lange beschäftigen.

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