Der Tiroler, das exotische Wesen

In einer Wirtsstube sitzen und stehen mehrere Personen in Tracht an einem Tisch.
Das Hamburger Museum am Rothenbaum erforscht die Liebe der Norddeutschen zu Tirol. Sie hat eine lange Geschichte und bis heute starke Auswirkungen

Das „höchste Haus Hamburgs“ ist nicht der infolge der Signa-Pleite in die Schlagzeilen geratene Elbtower, sondern das Ramolhaus. Es liegt auf 3.006 Metern Seehöhe inmitten der Ötztaler Alpen in Tirol und wird von Juni bis September bewirtschaftet, entnimmt man der Website des Deutschen Alpenvereins, Sektion Hamburg. Etwas niederer, auf 2.310 Metern westlich von Landeck, liegt die „Niederelbehütte“. Beide stehen im Besitz der 22.000 Mitglieder starken Vereinssektion, deren Gründung auf das Jahr 1875 datiert.

Die damalige Zeit war von Industrialisierung und Aufbruch geprägt, was im Gegenzug die Sehnsucht der Städter nach dem „Ursprünglichen“ befeuerte. Mit dem Ausbau von Bahnverbindungen und dem Aufkeimen des Tourismus entstand eine Achse, die bis heute Publikum und Geld in die Wirtschaft Österreichs – und da insbesondere in jene des Bundeslandes Tirol – spült.

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Exoten in den Bergen

Der Beziehungsstatus zwischen Einheimischen und Gästen war dabei von Anfang an kompliziert. Das erfasste der Maler Franz von Defregger bereits im Jahr 1882: Im Bild „Der Salon-Tiroler“ sitzt ein wohlfrisierter Mann im Trachtenjanker in einer Bauernstube, die Leute ringsum finden ihn sichtlich suspekt oder „cringe“, wie junge Leute heute wohl sagen würden. Denn als Einziger trägt der Herr mit dem Schnurrbart keinen Hut, er raucht auch keine Pfeife, sondern Zigarette. Und statt Hosenträgern zur Krachledernen hat der Mann ein Wams an.

Das Zillertal, Hamburgs schönstes Bierlokal, in einer historischen Aufnahme.

Umgekehrt tendierten die Deutschen dazu, ihre Tiroler Gastgeber zu exotisieren. Welche Früchte dieser Wechselbeziehung entsprangen, zeigt das Hamburger Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) in einer klugen Sonderausstellung, die bis Anfang 2025 eingerichtet wurde. Das Team um die Direktorin des Hauses, Barbara Plankensteiner – gebürtige Südtirolerin und früher lange am Weltmuseum Wien tätig – nutzt dabei die Sammlung des Museums, die reichhaltige Tirol-Bestände umfasst.

Ein Werbeplakat für eine „Bergfahrt in Tirol“-Ausstellung in Hamburg.

Insbesondere in den 1920er Jahren suchten Ethnologen nach Gegenständen, in denen sie Zeugnisse eines archaischen, vormodernen Lebens und – etwa im Fall von Krampusmasken – gar Spuren „heidnischer“ Kulte erblickten. Bereits damals galt es, eine florierende Souvenir-Industrie zu umschiffen, wie ein Brief des Hamburger Sammlungsleiters Arthur Byhan an einen Tiroler Antiquitätenhändler 1929 in der Schau belegt: „Das Museum sei „nur an Gebrauchsgegenständen primitiver Art, wie sie die Bauern für den eigenen Gebrauch herstellen“, interessiert, hieß es da.

Mitbringsel aus Tirol

Neben Trachtengürteln und Werkzeugen und fanden auffallend viele Votivgaben ihren Weg in die Sammlung – Nachbildungen von Körperteilen, die Heilung derselben erbitten sollten, oder morgensternförmige „Mutterkugeln“, die Fruchtbarkeit bringen sollten.

Eine rote Keule mit Stacheln und einem Griff liegt auf einem grauen Untergrund.

Das Ursprungsdenken der Ethnologen stand allerdings in keinem Widerspruch zur Inszenierung Tirols als exotischem Sehnsuchtsort. So erzählt das Museum die Geschichte der Attraktion „Bergfahrt in Tirol“, die den Hanseaten um 1899 ein Alpenpanorama mit Rutschpartie bot, und von „Mariedl, der Riesin“, die um 1900 als großgewachsene Jahrmarktsattraktion im Dirndl durch die Lande tourte. Von hier führt eine direkte Linie zum anhaltenden Erfolg von Trachtenfesten und Andreas Gabalier, der, wiewohl kein Tiroler, die Bergsehnsucht ebenso in den Norden trägt (am 25. 5. tritt er in Bad Segeberg nördlich von Hamburg auf).

Dass auch derlei Kulturtransfer keine Einbahnstraße ist, zeigt der „Hamburger Fischmarkt“, der seit gut 25 Jahren als Wanderzirkus durch deutsche und österreichische Städte tourt. Dass das Ausstellungsprojekt ursprünglich von einem Transfer der ganz anderen Art – der Ausbreitung des Coronavirus von einer Apres-Ski-Hütte in Ischgl – motiviert war, hat man an dieser Stelle fast schon wieder vergessen.

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