Tirol: So tickt das Land zwischen Kitsch, Kitz-Loch und Klischee

Tirol: So tickt das Land zwischen Kitsch, Kitz-Loch und Klischee
Politik und Tourismus zeichnen Bilder vom alpinen Bundesland, die mit der Lebensrealität vieler Bewohner längst nichts mehr zu tun haben. In der Außenwirkung greift das.

Wenn am heutigen Sonntagabend nach 17 Uhr die ersten Hochrechnungen zu den Tiroler Landtagswahlen im Fernsehen zu sehen und die ersten Analysen zu hören sein werden, dann kommt es so sicher wie das Amen im Gebet. Dann wird wieder die Rede vom „Heiligen Land Tirol“ sein.

Und dann werden sich viele Tiroler wieder fragen: Was für ein heiliges Land? Das geflügelte Wort ist ein Inbegriff von tradierten Tirol-Klischees, die mit der Lebensrealität der Mehrzahl seine Bewohner nichts zu tun haben. Das fängt bei der vermeintlichen Gläubigkeit an und hört dort noch lange nicht auf.

Tirol: So tickt das Land zwischen Kitsch, Kitz-Loch und Klischee

Goldenes Dachl in Innsbruck 

Wie in ganz Österreich sinkt die Zahl der Katholiken auch in Tirol stetig. 2019 waren es in der Diözese Innsbruck noch 374.000. In dem Vor-Corona-Jahr fanden sich an Zählsonntagen aber nur noch bis zu 45.000 Gläubige in der Kirche zum Gottesdienst ein, zehn Jahr zuvor waren es noch fast 70.000. Das Brauchtum, vielfach mit kirchlichen Festen verbunden und vom Land großzügig gefördert, wird in Tirol zwar hochgehalten. Aber das beißt sich nicht mit einem modernen Lebensstil.

++ THEMENBILD ++ TIROL-WAHL: WAHLPLAKATE FPÖ/NEOS/LISTE FRITZ/SPÖ/ÖVP

In Innsbruck drücken 35.000 Studenten dem Leben ihren Stempel auf. Architekten haben das Bundesland mit dem Inntal und seinen Nebentälern in einer Studie bereits 2005 als „Tirol City“ gedacht – als urbanen Raum. Die Realität hat sich diesem Ansatz seither genähert.

Lederhose, Ski und Hofer

Dass das Bild nach außen nach wie vor von Lederhose, Ski und der angeblichen Tiroler Widerständigkeit – Andreas Hofer lässt grüßen – geprägt ist, ist vor allem der VP-dominierten Landespolitik zu danken. Kein größerer Anlass bei dem nicht die Schützen zum „landesüblichen Empfang“ aufmarschieren.

Dem Historiker Michael Wedekind, der sich vor einigen Jahren mit der Tiroler Volkskultur beschäftigte, vermittelten diese Inszenierungen damals „den Eindruck einer vordemokratischen Operetten-Monarchie“. In Tirol gibt es durchaus einen weitverbreiteten Lokalpatriotismus. Da prangen schwarze Adler an modernen Hausfassaden und kleben Sticker mit „Dem Land Tirol die Treue“ auf den Heckscheiben der Autos junger Lenker.

Die seit 1945 tonangebende Volkspartei mag sich davon in ihrer Rhetorik, die gerne den „sturen“ Tiroler zeichnet, der sich von außen – auch nicht von Wien – nichts aufdrücken lässt, beflügeln lassen haben. Die fortschreitende Urbanisierung im Land hat sie verschlafen, wie selbst Parteistrategen eingestehen. „Den Anschluss an diese Wähler haben wir schon vor 20 Jahren verloren“, sagt einer von ihnen.

Erst bei den Gemeinderatswahlen Anfang des Jahres hat die ÖVP wichtige Städte verloren, in denen sie seit Jahrzehnten den Bürgermeister stellte. In Paarung mit dem allgemeinen Negativsog, in dem sich die Partei österreichweit befindet, könnten sich diese Schwächen nach einem türkis unterfütterten Höhenflug 2018 in einer historischen Niederlage bei der Landtagswahl niederschlagen.

Werbung und Realität

Auf Almen grasende Kühe. Verschneite Berge. Natur pur. Nicht nur die Politik bedient Klischeebilder von Tirol, der Tourismus lebt davon. In der Corona-Krise hat sich aber gezeigt, wie abhängig das Land von diesem Wirtschaftszweig ist, der Wohlstand in die Täler gebracht hat. Aber selbst dort ist das Geschäftsmodell nicht mehr unumstritten, wächst etwa der Ärger über den Verkehr, den über 22 Millionen Gäste pro Jahr – der Rekord im Jahr 2019 – mit sich bringen.

So brachial manche Lobbyisten der alten Schule mitunter nach außen auftreten, die jüngeren Vertreter der Branche haben die Zeichen der Zeit erkannt. Sie wissen, dass eine zur Schau getragene „Drüberfahr“-Mentalität – sei es im Verkehr oder bei Ausbauprojekten – weder dem Image noch der sogenannten „Tourismusgesinnung“ im Land förderlich ist. Letztere wird im Tiroler Politsprech gerne zitiert und meint die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber der Branche. Ein Sinnbild dafür, welche Rolle diese im Bundesland spielt.

535.000 wahlberechtigte Tiroler können darüber entscheiden, wie es weitergeht. Ein weiteres Sinken der Wahlbeteiligung wird befürchtet, die trüben Wetteraussichten könnten bremsend wirken. Denn an schönen Wahltagen zieht es die als sport- und naturbegeisterten bekannten Tiroler – soweit stimmen die Klischees – oft mehr in die Berge als an die Wahlurnen.

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