Der tanzende Dirigent, der auf YouTube bekannt wurde
In YouTube ist er als „Dancing Conductor“ ein Star. Heimlich mit einer Infrarotkamera aus der Orchesterperspektive aufgezeichnet in einer Volksopern-Aufführung von „Candide“.
Joseph Olefirowicz hat Entertainerqualitäten und agiert am Pult, wenn er „die Musiker von der Leine lassen kann“, mindestens so bewegungsintensiv wie einst Leonard Bernstein. „Ich bin so von Natur aus“, sagt der Dirigent im KURIER-Gespräch. „Das ist nur die Musikfreude. Ich kann nicht anders.“
Der Amerikaner aus der Gegend von Boston, der seit 25 Jahren in Europa arbeitet, war zuletzt viel unterwegs, leitete u.a. die europäische Erstaufführung des Musicals „Cinderella“ von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein mit dem Münchner Rundfunkorchester im Prinzregententheater, außerdem „West Side Story“ mit dem Niedersächsischen Staatsorchester Hannover und Bernsteins „Candide“ mit dem Moskauer Russischen Nationalorchester
In der Wiener Volksoper, der er bereits in der elften Saison als Gastdirigent verbunden ist, bereitet er gerade eine konzertante Aufführung von „Porgy and Bess“ (Premiere: 10. Februar) u. a. mit Melba Ramos, Ray M. Wade Jr., Morris Robinson und Lester Lynch vor.
Der 46-Jährige komplettiert damit nach „Candide“ und „Sweeney Todd“ im Haus am Gürtel „The Big Three“ des amerikanischen Musiktheaters.
KURIER: Sie gelten als Allround-Dirigent mit Schwerpunkt Musical. „Porgy and Bess“ ist Ihre erste Oper in der Wiener Volksoper?
Joseph Olefirowicz: Ja. Und hoffentlich nicht die letzte. Es ist mein bisher größtes Werk an diesem Haus. Oft wird das Stück gekürzt aufgeführt, aber wir spielen auch ein paar Szenen, die man sonst nicht oft hört. Und es ist eine Herausforderung, das Werk mit schwarzen und weißen Künstlern zu gestalten. Denn es ist explizit für schwarze Stimmen geschrieben.
Vor allem ist „Porgy and Bess“ große Oper – und kein Musical.
Korrekt. Weil Gershwin so viel für den Broadway geschrieben hat, wird sogar in den USA oft nicht anerkannt, wie klassisch das Stück ist.
Alle kennen „Summertime“, „It Ain’t Necessarily So“ oder „I Got Plenty O’ Nuttin“.
Aber die Hits sind höchstens 20 Minuten einer dreistündigen Partitur. Der Rest ist reine Oper mit amerikanischer Prägung, hochklassisch geschrieben. Man hört Richard Strauss, Richard Wagner als Einflüsse heraus. Aber es ist Gershwins Handschrift, wie er instrumentiert, wie er mit den akustischen Klangfarben im Orchester Klarheit schafft. Ganz anders als Bernstein. Und hätte Gershwin länger gelebt, ich glaube, er wäre noch größer geworden als Bernstein.
Gershwin ist ein großer Jazz-Musiker und Songwriter ...
... aber „Porgy and Bess“ reiht ihn unter die ganz großen Komponisten. Ein paar Nummern haben schon dieses Swing-Gefühl. Aber wir fetzen nicht wie die 40er- und 50er-Jahre. In den 30ern war alles noch viel sanfter und raffinierter. „Porgy and Bess“ ist eine Hommage an Harlem in New York mit Klängen, die man als Weißer so nicht kennt. Die Partitur selbst ist wie „Rosenkavalier“ mit Bigband. Und ein bisschen ,Der fliegende Holländer’. Wenn der Hurricane kommt, ist das reinster Wagner.
Und was ist das Besondere an Gershwin?
Seine Farbgebung ist brillant. Wir haben einen Blick in die Klänge der 20er- und 30er-Jahre, von Gershwin erschaffen, in einer Riesenoper. Wie gesagt: Kein Musical, keine Operette, sondern Oper.
Sogar der Musical-Komponist Stephen Sondheim sagt, das größte Stück Musiktheater aus Amerika sei „Porgy and Bess“.
Er hat recht. Wir haben nichts anderes, was das übertrifft. Ich sage das auch den Sängern, wenn sie ins Jazzige gehen. Stop! Wie würde Tosca das singen? Das ist Bess. Wie würde Musette das singen? Das ist Klara.
Also braucht es große klassische Stimmen?
Ja, die prägen da den amerikanischen Klang. Nur muss man bei der dramatischen Geschichte über die Unterdrückung der Schwarzen in den Südstaaten der USA heute das N-Wort, das früher mehr die Bedeutung von ,blöder Junge’ hatte und später zum Schimpfwort wurde, herausnehmen. Und in der Original Partitur kommt das N-Wort immerhin 31 Mal vor.
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