"Der Sturm": Der Abschied vom Zaubern
"Der Sturm" war Shakespeares letztes Stück. Es entstand 1611. Der Rest war Schweigen. Bis zu seinem Tod 1616 hat Shakespeare nichts Wichtiges mehr geschrieben.
Mit "Der Sturm" nimmt er Abschied. Abschied vom Zaubern. Vom Dichten. Vom Leben. Es ist ein Stück vom Verstummen und Verschwinden. Wie Prospero, der am Ende seinen Zauberstab zerbricht und sein Zauberbuch im Meer versenkt und in einem allerletzten Monolog das Publikum bittet, ihm durch Applaus seinen Segen zu geben, verschwindet auch Shakespeare mit dem letzten Vorhang.
Die Insel
Die Handlung hat sich der geniale Stoffe-Veredler diesmal ausnahmsweise nicht zusammengeklaut, sondern zur Gänze selbst ausgedacht: Auf einer einsamen Insel wartet der Zauberer Prospero auf die Gelegenheit zur Rache. Er war einst ein mächtiger Herzog, wurde aber von seinem Bruder entmachtet und zusammen mit seiner kleinen Tochter ausgesetzt. Ihm zu Diensten sind der edle Luftgeist Ariel und der böse, hässliche Erdgeist Caliban.
Wie im Theater so üblich, fährt eines Tages ein Schiff an der Insel vorbei, ein Schiff, auf dem alle sitzen, die an Prospero schuldig geworden sind. Prospero nützt die Gelegenheit, lässt Ariel einen gewaltigen Sturm entfachen, worauf das Schiff an der Insel strandet.
Die Schiffbrüchigen beginnen sofort damit, diverse Mordintrigen zu spinnen, die Prospero mithilfe der Geisterwelt allesamt unterbindet. Prosperos Tochter verliebt sich unsterblich in einen jungen Schiffbrüchigen, der sich als Königssohn entpuppt.
Am Ende verzichtet Prospero auf seine Rache, entsagt der Magie, schenkt seinen Geistern die Freiheit und wird wieder Herzog. Die Schurken werden durch die Erlebnisse von Todesgefahr und Geisterbegegnungen geläutert, und das junge Paar darf sich Richtung ewiges Glück auf die Reise machen.
Regisseurin Deborah Warner hat diese Geschichte bei den Salzburger Festspielen wunderbar zart, poetisch und unaufdringlich in Szene gesetzt. Die Bühne auf der Halleiner Perner-Insel ist gefüllt mit Treibgut, es gibt Sand-, Gatsch- und Kiesbecken zum Stolpern und Dreckigwerden. Im Hintergrund streckt sich eine schmale Leinwand zum Einblenden von Filmen, visuellen Effekten und Textzitaten.
Peter Simonischek ist ein faszinierender, ungewöhnlicher Prospero. Vordergründig ganz gütiger Onkel, lässt er immer wieder Anzeichen von Jähzorn und Sadismus aufblitzen und zeigt durchaus Genuss am Manipulieren von Menschen und Geistern. Das Verzeihen am Ende fällt ihm sichtlich schwer – er verzeiht dennoch, weil ihm offenbar bewusst ist, dass die Rache keine sinnvolle Alternative darstellt.
Jens Harzer liefert als Caliban eine grandiose Darstellung einer geschundenen, unterdrückten, unwissenden, hilflos um sich schlagenden Kreatur ab. Dieser Caliban wird in dieser Inszenierung zum Sympathieträger.
Ebenfalls ganz großartig: Der Playback-Künstler Dickie Beau, der Ariels verschiedenen Stimmen virtuos Gesicht und Körper verleiht. Sara Tamburini gibt eine lebenshungrige Miranda, deren Wunsch, endlich unkeusch sein zu dürfen, kaum noch zu bändigen ist.
Vom ausnahmslos guten Ensemble sei noch Daniel Friedrich als Prosperos treuloser Bruder erwähnt: Mit ganz wenigen Sätzen und Gesten deutet er an, dass er das Verzeihungsgetue seines Bruders in Wahrheit verachtet. Seine Unterwerfung am Schluss hat etwas Höhnisches.
Schiffbruch
Dass die Motive der Seefahrt, des Schiffbruchs, der einsamen Insel heute eine neue, tragische Aktualität haben, das deutet Regisseurin Deborah Warner zwar an (die Schwimmwesten!), denkt aber zum Glück nicht daran, hier eine Flüchtlingstragödie herbeizunötigen, wo Shakespeare keine geschrieben hat.
Am Ende gibt es sehr freundlichen Applaus und einige Bravos für eine kluge, poetische, sehenswerte Inszenierung. Ein paar Längen gibt es in der Mitte – geschenkt.
Kommentare