Zunächst gibt es verloren umherirrende Menschen – wie damals, 2020, als die Pandemie orkanartig über den Kontinent fegte. Hofnarr Trinculo und Kellermeister Stephano fühlen sich, vom Schicksal auseinandergerissen, verdammt einsam. Sie seien bloß halbe Portionen, wie sie – unabhängig voneinander – in der Burgtheater-Inszenierung feststellen, die am Samstag Premiere hatte.
Auf der Zauberinsel werden zudem Komplotte geschmiedet, und zwei junge Menschen verlieben sich Knall auf Fall. Hinter all dem sonderbaren Treiben, das auch im Athener Wald (bekannt aus dem „Sommernachtstraum“) spielen könnte, steckt Prospero, der ehemalige Herzog von Mailand. Er war einst von seinem Bruder Antonio um den Thron gebracht worden; nun, als Kolonialherr auf der Zauberinsel, will er Frieden schaffen, ins Reine kommen. Ihm zu Diensten ist Ariel, der Stürme entfachen und Menschen eindösen lassen kann.
Wie die Geschichte endet, lässt Thorleifur Örn Arnarsson im Diffusen. Aber der Abend hat zumindest stark begonnen – mit einer 20-minütigen Ouvertüre. Und er entwickelt sich zum melancholischen Jukebox-Musical. Zusammen mit dem Ensemble bringt Jazzpianist Gabriel Cazes unter anderem „When the Saints Go Marchin‘ In“, „Pata Pata“ von Miriam Makeba, „You Can’t Always Get What You Want“ von den Stones, „Perfect Day“ von Lou Reed, “It’s Wonderful” von Paolo Conte, „The Winner Takes It All“ von ABBA und „Without You“ von Mariah Carey zu Gehör.
Als Crooner darf Roland Koch mit „Mr. Sandman“ brillieren, Michael Maertens träumt mit „Fly Met To The Moon“ von Frank Sinatra. Im Zentrum steht eine Durchhalteparole von Gustav: „Alles renkt sich wieder ein, / irgendwann geht es vorbei. / Der Scherz tut weh und es wird besser / nur durch unsre Melodie. Lass den Kopf nicht hängen, Sweetheart, / es wird alles wieder schön…“
Eigentlich hätte Thorleifur Örn Arnarsson nach der „Edda“ einen weiteren nordischen Stoff, „Peer Gynt“, machen sollen. Doch die Produktion fiel der Pandemie zum Opfer. Der isländische Regisseur leckt also Wunden.
Für „Der Sturm“ wurden Teile des „Peer Gynt“-Bühnenbildes von Wolfgang Menardi – vier metallische Gerüsttürme mit Spiegelrückseiten und Neonröhren – weiterverwendet. Elín Hansdóttir kontert auf die strenge Geometrie mit duftigen Stoffen und einem Staunen machenden, variablen Baldachin. Als Zäsur dazwischen gibt es nach dem Sturm ein Aufwischballett – und im Hintergrund leuchtet ein Regenbogen von Oskar Kokoschka aus 1961.
Maria Happel ist vom Sklaven Caliban (im Jahr 2007) zum abgeklärten Herrscher Prospero aufgestiegen. Schon bald nach dem Intro auf der rotierenden Drehbühne verspricht sie Ariel (Mavie Hörbiger), dass er in zwei Stunden frei sein werde. Und sie berührt, wenn sie ihn dann zum Abschied umarmt.
Hinreißend leicht gelingt die Polsterschlacht zwischen Miranda (Lili Winderlich) und Ferdinand (Nils Strunk). Auch die Doppelconférence von Roland Koch (als Stephano) und Michael Maertens (als Maertens) unterhält.
Aber gerade der zweite Teil zerfällt in einzelne Nummern. Und es braucht schon eine ziemliche Weile, bis die herabfallenden Schaumgummischnitzel den „Mondkalb“-Caliban des Florian Teichtmeister unter sich begraben haben. So ist zwar manches nicht aus einem Guss. Aber zumindest die Musik der Kitt.
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