Der leise Philosoph erdrückt seine Gedankenspielerei
Er las heuer auf der Wiener Buchmesse, aber war chancenlos: Auf der Nachbarbühne trat zeitgleich Austrofred auf, und der war laut. Lauter als Jostein Gaarders Philosophie. Außerdem waren die vielen Schulklassen stark abgelenkt, weil am Bücherstand Saudi-Arabiens gerade Datteln verteilt wurden.
In seinem neuen Buch „2084 – Noras Welt“ zeichnet der norwegische Bestsellerautor ein düsteres Bild der Erde: Inseln versinken wegen des steigenden Meeresspiegels, Klimaflüchtlinge irren als ungeliebte Heimatlose umher, das Eis der Arktis ist Geschichte, Dürreregionen nehmen zu und Hunderte Tier- und Pflanzenarten sind ausgestorben.
Düsteres Szenario
Ein apokalyptisches Szenario, das uns – so ist Nora, die 16-jährige Titelheldin von Gaarders Buch, überzeugt – droht, wenn wir nicht rasch unser Verhalten ändern.
Gemeinsam mit ihrem Freund Jonas gründet Nora eine Umweltorganisation, die das Bewusstsein der jungen Leute schärfen soll. Vergebens: Ein geträumter Blick in die Zukunft, ins Jahr 2084, zeigt, dass Noras Urenkelin Nova mitten in der ökologischen Katastrophe leben muss. Das Verschwendungs- und Verschmutzspiel vieler Generationen hat zu einem bösen Ende geführt.
„2084 – Noras Welt“ ist ein interessantes und wichtiges Gedankenspiel, aber es hat Schwächen. Vor allem formale: Gaarder teilt das Buch in unzählige Kapitel mit lakonischen Titeln wie „Öl“, „Das Schwimmbecken“ oder „Tulpen“ und verhindert auf diese Art, dass ein Sog die Leser in die Geschichte zieht.
Zusätzlich erdrücken die Fakten über die Umweltzerstörung die Erzählung: Nora und Jonas tragen sich gegenseitig hochkomplexe Texte über Klimawandel und Erderwärmung vor, die besser in Wissenschaftspublikationen aufgehoben wären.
Solche intellektuellen Wichtigtuereien hat ein Autor wie Gaarder nicht nötig.
Lag doch schon bei „Sofies Welt“ seine Stärke im leichtfüßigen Räsonieren über die Welt und im Verständlichmachen der großen Fragen. Das kann er, und dafür muss man wirklich gescheit sein.
Gut ist das Buch dennoch: Als Diskussionsgrundlage für Wachstumsfanatiker und Profitmaximierer und als Anregung zum liebevolleren Umgang mit der Natur. Als Menetekel für junge Leute, die das Jahr 2084 noch erleben werden. Als Albtraum, den es zu verhindern gilt.
Er wolle die Jungen aufklären und wachrütteln, hat Gaarder zuletzt in einem Interview gesagt. „Wenn wir die Welt retten wollen, dann müssen wir jetzt damit beginnen.“ Hoffentlich gelingt es ihm. Jetzt.
KURIER-Wertung:
INFO: Jostein Gaarder: „2084 – Noras Welt“ Übersetzt von Gabriele Haefs. Hanser Verlag. 192 Seiten. 15,40 Euro. Ab 12 Jahren.
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