Der junge Mann und das Meer

Szene aus Ang Lees ,Life of Pi'
Mit seinem 3-D-Meisterwerk „Life of Pi“ beweist sich Ang Lee auch im Genre Literaturverfilmung.

Zuerst war das gedruckte Wort: Yann Martels mit dem Booker Prize ausgezeichneter Bestseller-Roman „Life of Pi“ aus dem Jahr 2001. „Ein Buch, das mich zutiefst beeindruckt hat“, erinnert sich Ang Lee an die Anfänge seines jahrelang unsicheren Filmprojekts. „Man sagte mir, es sei unverfilmbar, was natürlich eine Herausforderung war.“ Zum Glück habe sich dann ein Studio – nämlich Twentieth Century Fox – für den Stoff erwärmt: „Sie haben mich gefunden, Gott sei Dank.“

Der junge Mann und das Meer
Life of Pi
Eine Begegnung mit Ang Lee, dem Regisseur von Welterfolgen wie „Brokeback Mountain“, „The Ice Storm“, „Das Hochzeitsbankett“ und „Crouching Tiger, Hidden Dragon“, hat etwas Spirituelles. Wie ein Guru sitzt er im weißen Pullover auf einem Sofa im Berliner Hotel de Rome und spricht so leise, dass ihm die Aufmerksamkeit der Anwesenden sicher ist. Nie hebt er die Stimme, nie wird er ungeduldig.

„Ich bin ein unbeirrbarer Bildererzeuger“, sagt er, wenn man ihn auf den ständigen Genrewechsel bei seinen Arbeiten anspricht, „ich sehe meine Karriere als eine endlose Verlängerung der Filmschule, wo ich immer Neues dazulernen kann. Man muss doch neugierig bleiben.“

Emotionale Fahrt

In „Life of Pi“ erzählt Lee die Geschichte des 17-jährigen Piscine Molitor Patel, Pi genannt, der bei der Überfahrt von Indien nach Kanada bei einem Schiffsunglück seine gesamte Familie verliert. Weil Pis Vater Besitzer eines Zoos war, waren auch viele Tiere an Bord. Nur ein Bengalischer Tiger namens Richard Parker und Pi überleben die Katastrophe.

Zurückgeworfen auf sich selbst, arrangieren sich Mensch und Bestie. Ihre Irrfahrt wird zu einer fantastischen Reise ins Ich.

„Es sollte eine Reise ins Innere der Figuren sein, die aber gleichzeitig große, realistische Bilder vermittelt“, so Ang Lee. Diese emotionale Fahrt und die Bilder zu verbinden, sei ihm sehr schwer gefallen. „Dann kam ich auf die 3-D-Technik, die es mir ermöglichte, das Irrationale an Pi und Richard Parker visuell umzusetzen. Das war ein Experiment, denn das habe ich noch nie gemacht.“

Das Ergebnis sind betörende Bilder von in allen Regenbogenfarben leuchtenden Fischschwärmen, schimmernden Blautönen der Wellen und glänzenden Walen, die aus den Tiefen des Ozeans auftauchen. 227 Tage voll Verzweiflung und Poesie, Grausamkeit und Schönheit.

Für den Filmdreh, den Lee übrigens mit vier echten und einem computeranimierten Tiger absolvierte, kehrte der Regiestar in seine Heimat Taiwan zurück: „Ich wusste, dass ich diesen Film in Hollywood nicht so machen konnte, wie ich wollte. Das wäre unbezahlbar gewesen. Außerdem wollte ich die Hollywood-Leute aus ihrer comfort zone herausholen, dorthin, wo sie sich nicht auskennen und selber Fremde sind.“ Auf einem ehemaligen Flughafengelände bei Taichung ließ Lee einen gigantischen Wassertank bauen, in dem man 20 Meter hohe Wellen erzeugen konnte.

Um Suraj Sharma zu finden, den grandiosen Darsteller von Pi, castete Lee 3000 indische Buben: „Als Suraj vorsprach, sah ich in sein offenes, seelenvolles Gesicht und wusste: Die Zuschauer werden ihm glauben. Sie werden ihn lieben.“

Glaubt er auch an die Kraft der Religion in höchster Not wie sein Held Pi? – „Da halte ich es mit Timothy Leary, dem Drogenpapst, der sagte: Misch dir dein eigenes Rezept von Religion. Für mich ist Religion eine sehr individuelle Art, sich Gott anzunähern. Mehr nicht.“

Wanderer zwischen den Kulturen

An Berlin, wo der 58-Jährige Interviews zu „Life of Pi“ gibt, hat er nur gute Erinnerungen: „Hierher komme ich gerne zurück, denn hier habe ich meine erste große Auszeichung erhalten.“ Der Goldene Bär bei der Berlinale 1993 für „Das Hochzeitsbankett“ brachte Ang Lee den Durchbruch. Seither ging es mit seiner Karriere bergauf.

Lee wurde am 23. Oktober 1954 in Pingtung, Taiwan, zur Zeit des Kuomintang-Regimes (General Chiang Kai-shek) geboren. Seine Eltern waren Emigranten vom chinesischen Festland, seine Großeltern waren im Zuge der kommunistischen Revolution in China ums Leben gekommen.

Entgegen dem Wunsch seiner Eltern, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, schrieb er sich für ein Theater- und Filmstudium in Taipeh ein. Nach dem Abschluss ging er 1978 nach Illinois und studierte dort Theaterregie. Danach entschloss er sich, mit seiner Ehefrau, der Mikrobiologin Jane Lin, in den USA zu bleiben.

In seinen ersten Langfilmen – unter anderem „Eat Drink Man Woman“ (1994) – beschäftigte sich Lee nur mit asiatischen Stoffen. Mit dem Angebot der Produzentin Lindsay Doran, die von Schauspielerin Emma Thompson verfasste Adaption des Jane-Austen-Romans „Sinn und Sinnlichkeit“ zu drehen, eröffnete sich ihm eine neue Perspektive.

Seither pendelt er mit seinen Filmen zwischen Ost und West: Sein Spektrum reicht von dem amerikanischen 1970er-Jahre-Drama „The Ice Storm“ über das Comicspektakel „Hulk“ bis zum oscargekrönten Cowboyherzschmerz „Brokeback Mountain“Ang Lee lebt mit seiner Frau und den zwei Söhnen in White Plains, New York.

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