Der Golden Globe-Gewinner Sam Mendes im Interview
Der britische „Bond“-Regisseur Sam Mendes („Skyfall“, „Spectre“) ist der überraschende Gewinner der diesjährigen Golden Globes. Sein Kriegsfilm „1917“ erhielt vom Verband der Auslandspresse einen Golden Globe für bestes Filmdrama. Zudem drehte Mendes sein Werk über den Ersten Weltkrieg vermeintlich in einer einzigen Einstellung – und nahm dafür auch den Preis für beste Regie entgegen.
Geschildert wird eine Episode aus dem Jahre 1917: Zwei britische Soldaten erhalten den Auftrag, einer von feindlichen Truppen in den Hinterhalt gedrängten Division eine wichtige Nachricht zu überbringen. Davon hängt das Leben von 1.600 britischen Soldaten ab. Auch das des Bruders eines der Boten.
KURIER: Gerade in den letzten Jahren dominierte der Zweite Weltkrieg das Filmgeschehen. Was war für Sie die Faszination, gerade diese Geschichte aus dem Jahr 1917 zu erzählen?
Sam Mendes: In meinem Land, in Großbritannien, ist immer noch der überdimensionale Schatten dieses Krieges spürbar. Selbst in den jüngsten politischen Ereignissen – wie etwa beim Brexit – sind noch die Feindschaften spürbar, die Europa damals zerrissen haben und deren Grenzziehungen bis heute den Kontinent teilen. Mehr noch als später der Zweite Weltkrieg. Es gibt kein Dorf und keine Stadt in diesem Land, in dem nicht bis heute Denkmäler an die Opfer des Ersten Weltkriegs erinnern. Damals schlug die erste Stunde der modernen Kriegsführung, in der nicht mehr berittene Einheiten und Fußtruppen Mann gegen Mann kämpften, sondern Panzer und Maschinengewehre auf den Schlachtfeldern eine blutige Zerstörung hinterließen. Aber um noch einmal auf die Auswirkungen auf die heutige Zeit zu kommen: Ich möchte betonen, dass es im Ersten Weltkrieg um den Kampf für ein freies Europa ging. Aber was den Europa-Gegnern heute durch den Kopf geht, möchte ich gar nicht so genau wissen.
Was war das wesentliche Motiv, Ihre Kriegsgeschichte im Jahr 1917 anzusiedeln?
„1917“ sollte kein politischer Film sein – zumindest nicht in dem Sinne, dass er zu den heutigen Ereignissen einen Geschichtsunterricht nachliefert. Ich wollte zeigen, wie sich ein Krieg aus einer sehr persönlichen Sicht anfühlt. Auf keinen Fall wollte ich einen nationalistischen Film machen. Die zwei Soldaten, die den gefährlichen Marsch auf sich nehmen, um Kameraden zu retten, könnten genauso gut Franzosen, Deutsche oder Österreicher sein. Für die Individuen fühlt sich der Schrecken der Schlachtfelder gleich an – egal welcher Nationalität sie sind. Es geht mir mehr um menschliche Erfahrungen als um historische Momente.
Gab es Filme über den Ersten Weltkrieg, die Sie zu Ihrem Werk inspiriert haben?
„Wege zum Ruhm“ war ein Film, der mir nicht aus dem Kopf gegangen ist, seit ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Aber darin geht es mehr um den Wahnsinn der Generäle. Mir ging es eher um die Menschen, die unter Todesgefahr deren Befehle ausführen müssen. Man kann sich heute kaum vorstellen, mit welchem Einsatz damals die nahezu endlosen Schützengräben entstanden, durch die sich die Soldaten wie durch ein Niemandsland bewegten. Den Krieg in seiner wahren Größenordnung zu zeigen, erschien mir von Anfang an unmöglich, und daher bin ich immer ganz nahe an meinen beiden Protagonisten geblieben. Diese Art der persönlichen Erfahrungen entspricht auch der Form, wie Väter und Großväter ihre Kriegsgeschichten an die nächsten Generationen weitergeben. Mein Großvater hat mir zum Beispiel auch die Geschichte erzählt, die ich zur Grundlage von „1917“ gemacht habe.
Sie haben diesen Film, der zum Großteil in freier Natur spielt, chronologisch gedreht. Was war Ihnen daran so wichtig?
Vom ersten Moment an hatte ich das Gefühl, dass ich diesen Film in Echtzeit erzählen sollte. Jeder Abschnitt der Reise, jeder Atemzug der Männer, erschien mir wesentlich. Ich konnte mir keinen besseren Weg vorstellen, diese Geschichte zu erzählen, als in einer durchgehenden Aufnahme.
Sie sind offenbar mit einer genauen Vorstellung an dieses Projekt herangegangen. Hat der fertige Film Ihre Erwartungen erfüllt?
Um einmal ganz unbescheiden zu sein: Das Ergebnis ist besser geworden, als ich es mir vorgestellt habe. Das liegt an den hervorragenden Schauspielern, die die Geschichte mit eigenen Emotionen bereichert haben – und natürlich auch an der Kameraführung von Oscar-Preisträger Roger Deakins. Ich bin auch stolz darauf, dass der Film so spannend und dynamisch wirkt, obwohl ich ausschließlich lange Einstellungen verwende. Ich finde, dass wir aufgrund der geradezu hysterisch schnellen Schnitte von Actionfilmen, mit denen uns inzwischen auch schon Fernsehnachrichten serviert werden, verlernt haben, auf wichtige Ereignisse genau hinzuschauen.
Vereinfachen die langen Einstellungen die Dreharbeiten?
Ganz im Gegenteil. Wenn man Szenen von mehreren Minuten in einer Einstellung durchdreht, dann muss jedes Detail genau sitzen. Die Schauspieler müssen die Dialoge und Emotionen so genau einstudiert haben, dass sie vor der Kamera spontan und natürlich wirken. Und wenn dann nur eine winzige Kleinigkeit schief geht, wenn irgendwo im Hintergrund Hunde bellen oder Babys schreien, wenn ein Schauspieler stolpert oder einen Texthänger hat, dann muss man die ganze Szene noch einmal von Anfang an drehen. Da kann man sich nicht mit Zwischenschnitten oder Großaufnahmen retten, wie sie sonst bei Filmaufnahmen üblich sind.
Sie haben schon vor „1917“ Kriegsfilme gedreht – was fasziniert Sie generell an diesem Thema?
Mein erster Kriegsfilm war „Jarhead“ im Jahr 2005. Darin ging es um den ersten Irak-Krieg unter Präsident George Bush, der ja – wie wir wissen – zum zweiten Irak-Krieg geführt hat, den sein Sohn, George Bush jr. mit den Lügen über die angeblichen Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein angezettelt hat. Die letzten Worte in diesem Film gelten leider heute noch: „Wir stehen immer noch in der Wüste…“ Und die James Bond-Filme, wenn Sie auch darauf anspielen wollten, handeln ja auch von einer kriegslüsternen Welt. In gewissem Sinne habe ich „1917“ als Antwort auf diese früheren Filme gedreht. Ich wollte einen Krieg so zeigen wie er wirklich ist. Ein Krieg ist kein Computerspiel, sondern ein grausamer Akt gegen Menschen und Menschlichkeit. Darin gibt es keine Sieger, sondern nur Verlierer. Aus diesem Grund zeige ich auch die Generäle, die in kurzen Szenen vorkommen, nicht als blindwütige Kriegstreiber, sondern als Menschen, deren Psyche durch die Kampfstrategien zermürbt oder zerstört wurde. Mir ging es um die Kehrseite der Medaillen und Orden, mit denen diese „Helden“ für gewöhnlich ausgezeichnet werden.
Kinostart: "1917" vom Sam Mendes ist ab 16. Jänner in den heimischen Kinos zu sehen.
Text: Gabriele Flossmann
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