Where are you now, David?
Horst Gödel hält das Kärtchen fest in der Hand. Es ist ihm wichtig, das sieht man. Ein bisschen scheint er sich auch daran festzuhalten. "Zwei Stunden lang hab’ ich danach gesucht. Ich wusste, den Ausweis gibt es noch", sagt er, lässt aus dem "Ich" ein "Ick" werden, wie viele, die hier an der Hauptstraße, Hausnummer 155 stehen.
Im Café nebenan tönt "Heroes", viele haben Blumen mitgebracht. Gödel hat seine schon hingelegt. Die Karte, die behält er aber. "Internationaler David Bowie Fan-Club Berlin" steht darauf, getippt mit Schreibmaschine, daneben das Eintrittsjahr: 1977. "Damals hat er seine beste Musik gemacht. Das war seine beste Zeit, hier in Berlin."
Flucht in die Anonymität
Damals, das war die Zeit, als in Berlin noch die Mauer stand, als es noch keine Touristenmassen, keine DJ-Kultur, kein Berghain gab. Stattdessen geteilte Familien, Mauertote und viel zu viel Weltpolitik, von der die Westberliner wenig wissen wollten. In Schöneberg, wo das Haus Hauptstraße 155 steht, lenkte man sich davon mit Partys ab, eine kleine queere Szene war dort entstanden. Hierhin zog es Bowie 1976, den androgynen Superstar, der gern mit seinem Image, seiner sexuellen Orientierung spielte – weg aus L.A., von seiner Drogensucht, hinein in die unaufgeregte Anonymität, die Berlin bot. "In dieser Stadt kann man sich leicht verlieren, aber sich auch selbst finden", sagte er später.
Gemacht hat Bowie in Berlin beides. Gemeinsam mit Iggy Pop wohnte er dort, wo heute die Blumen liegen, verbrachte zwei Jahre in einem Matratzenlager mit schwarzen Wänden, im ständigen Kampf um das Essen im Kühlschrank, wie in einer gewöhnlichen WG. Dabei kam er, abseits der großen medialen Aufmerksamkeit, nicht nur von den Drogen weg, sondern produzierte auch drei Alben – "Low", "Heroes" und "Lodger", die nicht nur zu seinen kreativen Höhepunkten zählen, sondern auch das Leben in der geteilten Stadt spiegeln.
Das Paar an der Mauer
"Standing, by the wall / And the guns shot above our heads", heißt es in "Heroes", das er 1977 mit Brian Eno aufnahm – in den legendären Hansa-Studios, mit Blick auf die Mauer. Der Mythos sagt, er habe dort, am Todesstreifen, ein küssendes Paar beobachtet und es besungen. Er selbst blieb dazu stets kryptisch; erzählte nur, man habe die Grenzer gern beschallt.Konkreter wurde er 2014. Mit der Nummer "Where Are We Now?" setzte er der Stadt ein Denkmal, erinnerte sich fast sentimental an Streifzüge durch das Edelkaufhaus KaDeWe, an den Todesstreifen am Potsdamer Platz, an die Nürnberger Straße, in der die hippen Clubs der 70er waren.
Die meisten davon gibt es heute nicht mehr. Auch am Haus in der Hauptstraße 155 erinnerte bis jetzt nichts an seinen einstigen Bewohner – Denkmal hat man Bowie in Berlin noch keines gesetzt, nicht so wie in Brixton, seinem Geburtsort in London, wo nach seinem Tod Hunderte vor einem "Aladdin Sane"-Wandgemälde trauerten.
Seine Spuren finden sich ohnehin anderswo. In der queeren Community, die Bowie für seine Auflösung der Geschlechterrollen feiert; in den Clubs der Stadt, die sich vor seiner musikalischen Eigensinnigkeit verneigen. Vielleicht braucht es deshalb gar kein Denkmal zum Anfassen, meint auch eine Frau in den Fünfzigern, die vor dem Blumenmeer in der Hauptstraße steht. "Wer wen mehr beeinflusst hat, daran scheiden sich die Geister", sagt sie über Bowie und Berlin. Aus ihren Kopfhörern tönt währenddessen immer die gleiche Nummer: "Where are we now?"
Kommentare