Das Wohnzimmer der Dichter

Das Wohnzimmer der Dichter
Ernstes und Heiteres über die Stars in den Wiener Literaten-Cafés.

In manchen Redaktionen wurden schon die Nachrufe auf eines der berühmtesten Wiener Kaffeehäuser geschrieben. Denn das Café Griensteidl sollte laut Zeitungsmeldungen demnächst zusperren und einer Filiale der amerikanischen Kaffeehauskette Starbucks weichen. Die Aufregung war groß, weil die Wiener – auch die, die nie ins Kaffeehaus gehen – auf ihre Kaffeehauskultur stolz sind und für deren Fortbestand auf die Barrikaden steigen.

Berühmte Gäste

Es gibt mehrere Gründe, warum das Griensteidl so beliebt ist. Erstens hat es mit seinem Eingang am Michaelerplatz die ziemlich prominenteste Adresse der Stadt: Wenn Kaiser Franz Joseph aus seinen Fenstern in der Hofburg blickte, sah er auf das Griensteidl. Der zweite Grund, warum es zur Legende wurde, waren seine Gäste, zu denen Arthur Schnitzler, Felix Salten, Hermann Bahr, Theodor Herzl, Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig (noch als Gymnasiast) und Karl Kraus zählten. Das Griensteidl war somit d a s Wiener Literaten-Café.Wobei hier mit einem Klischee aufzuräumen ist: Die Autoren sind nicht im Kaffeehaus gesessen, um dort ihre Romane, Theaterstücke und Feuilletons zu schreiben. Das hätte der Lärm und das bunte Treiben an den Marmortischen nicht zugelassen. Dichter brauchen Ruhe, um sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, daher schrieben sie meist zu Hause. Im Kaffeehaus holten sie sich die Inspiration, und wenn ein zündender Gedanke kam, notierten sie ihn sogleich mit ein paar Stichworten, weshalb den Gästen im Griensteidl auf Wunsch jederzeit Papier und Bleistift gereicht wurde. Außerdem war (und ist) es das einzige Café, in dem neben den Tageszeitungen sämtliche Bände des Großen Brockhaus aufliegen.

Das Wohnzimmer der Dichter
ARCHIV - HANDOUT - Das undatierte Foto zeigt den österreichischen Schriftsteller und Arzt, Arthur Schnitzler. Wien feiert in diesem Jahr den 150. Geburtstag Arthur Schnitzlers. In seinen Dramen und Erzählungen hielt Schnitzler der Gesellschaft an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert den Spiegel vor. Foto: dpa (zu dpa «Arthur Schnitzler: Bühnen-Dauerbrenner und subtiler Psychologe» vom 09.05.2012) +++(c) dpa - Bildfunk+++

Spion im Kaffeehaus

Das 1847 vom Apotheker Heinrich Griensteidl gegründete Kaffeehaus beherbergte so unterschiedliche Besucher wie den Sozialdemokraten Victor Adler, den radikalen Antisemiten Georg von Schönerer und den dichtenden Hofrat Franz Grillparzer. Niemand ahnte, dass der Zahlkellner Georg ein Spitzel des Metternichschen Überwachungs-Systems war und der Behörde jeden Gast meldete, der sich durch den Konsum "ausländischer Zeitungen" verdächtig machte. Als Herr Griensteidl dem übereifrigen Ober auf die Schliche kam, wurde er entlassen.Die Dichter des "Jungen Wien", wie sich Schnitzler & Co nannten, kamen erst ab den 1880er-Jahren und hatten somit nur wenig Zeit, das Griensteidl als ihr zweites Wohnzimmer zu beleben. Denn 1897 schloss das Café mit dem Abriss des Palais Dietrichstein seine Pforten. Für immer, wie man dachte, da im neu gebauten Palais Herberstein kein Platz mehr für ein Kaffeehaus war. Der wurde erst 1990 geschaffen, als das Griensteidl auf Initiative des damaligen Raiffeisen-Generals Christian Konrad an seiner alten Stelle wieder eröffnet wurde.

Café Größenwahn

Vom Zusperren des Griensteidl – seine Gegner nannten es auch "Café Größenwahn" – profitierte zur Jahrhundertwende das Café Central, das sich als Zentrum einer neuen Literatengeneration um Peter Altenberg (der als einer der wenigen wirklich im Kaffeehaus schrieb), Egon Friedell und Alfred Polgar etablierte. "Die Bewohner des Central", schrieb Polgar, "sind größtenteils Leute, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen". Für Polgar war das Central "kein Kaffeehaus, sondern eine Weltanschauung, und zwar eine, deren Inhalt es ist, die Welt nicht anzuschauen."In den 1920er-Jahren zog die junge Literatur weiter ins neue Café Herrenhof. Eine Zeit lang pendelten wehmütige Stammgäste noch zwischen den beiden Etablissements. Befand sich ein Dichter nicht im Central, konnte man sicher sein, ihn im Herrenhof anzutreffen und umgekehrt. Der Umstand wurde dem Autor Otto Krzyzanowski zum Verhängnis: Da er aus diesem Grund keinem abging, dauerte es Tage, bis sich herausstellte, dass er in beiden Lokalen fehlte. Dann erst fand man den Schriftsteller tot in seiner Wohnung auf. Er war Tage zuvor verstorben, aber alle seine Freunde dachten, er wäre im "anderen" Kaffeehaus.Das Gerücht, das Griensteidl würde nun zum zweiten Mal zugesperrt, kam diese Woche auf, als gemeldet wurde, der Betreiber Do & Co würde seinen Mietvertrag zugunsten der US-Kaffeehauskette Starbucks aufkündigen. Bis ein Sprecher des Hausinhabers – die Schweighofer-Immobiliengruppe – diese Absicht dementierte. Nur Do & Co-Chef Attila Dogudan war bisher für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Das Wohnzimmer der Dichter
ORF präsentiert Programmhöhepunkte 2006/07. Karl Kraus ñ "Die grellsten Erfindungen sind Zitate". Im Bild: Karl Kraus: Kaum ein anderer österreichischer Schriftsteller trägt das Prädikat Ñein Vielzitierterì rechtmäßiger als Karl Kraus. Doch lässt sich vom ÑZitiert-Werdenì auch auf die Wirkung seines Werks auf die Gegenwart schließen? Hat dieser Mahner, Warner und Spötter unsere Welt verändert? In der Dokumentation wird das Schaffen von Karl Kraus anlässlich seines 70. Todestages in ständigem Konnex mit der Welt von heute aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Zu Wort kommen neben Stars des zeitgenössischen Literaturbetriebs, wie Kraus-Bewunderer Jonathan Franzen, auch Journalisten, die sich der Krausíschen Tradition der Medienkritik verpflichtet fühlen. So spricht u. a. ÑZiB 2ì-Moderator Armin Wolf über den zähen Kampf um Wahrhaftigkeit. Verbunden werden diese Nachforschungen von zwei Kraus-Archetypen: ÑOptimistì und ÑNörglerì, dargestellt von Florian Scheuba und Thomas Maurer, die mit ihren Kabarettprogrammen nicht nur die politische Satire in Österreich wieder belebt haben, sondern darin auch formal auf Kraus Bezug nehmen. SPERRFRIST bis 05.09.2006, 17:00 UHR. SIEHE OTS VOM 06.09.2006. - Veroeffentlichung fuer Pressezwecke honorarfrei ausschliesslich im Zusammenhang mit oben genannter Sendung des ORF bei Urhebernennung. Foto:ORF/-. Andere Verwendung honorarpflichtig und nur nach schriftlicher Genehmigung der Abteilung ORF/GOEK-Photographie. Copyright:ORF-PHOTOGRAPHIE, Wuerzburggasse 30, A-1136 Wien, Tel. +43-(0)1-87878-14383.

Ein Rundumschlag

Karl Kraus hatte das Ende des Griensteidl im Jahr 1897 zum Anlass genommen, mit dem Essay "Die demolirte Literatur" zum Rundumschlag gegen Wiens literarische Szene auszuholen. Während seine Kollegen im Kaffeehaus ihre Freunde trafen, bevorzugte es Karl Kraus, dort seinen Feinden zu begegnen. So attackierte er in seinem Nachruf auf das Griensteidl die Autoren Hermann Bahr und Hofmannsthal, von dem er behauptete, er hätte schon als Mittelschüler seine "letzten Worte" einstudiert. In Arthur Schnitzler sah er den "Dichter, der das Vorstadtmädl burgtheaterfähig gemacht" hat, und Felix Salten hielt er vor, der deutschen Grammatik nicht mächtig zu sein. Dafür bekam Kraus von Salten anderntags im Kaffeehaus eine schallende Ohrfeige verabreicht, was – wie Arthur Schnitzler seinem Tagebuch anvertraute – "allseits freudig begrüßt wurde".

Zur Großstadt demolirt

"Wien wird jetzt zur Großstadt demolirt", schrieb Karl Kraus im Nachruf auf das Griensteidl. "Mit den alten Häusern fallen die letzten Pfeiler unserer Erinnerungen. Unsere Literatur sieht einer Periode der Obdachlosigkeit entgegen."Gut, dass das Griensteidl jetzt nicht ein zweites Mal zusperrt. Schon deshalb, weil es keinen Karl Kraus mehr gibt, der einen solchen Nachruf schreiben könnte.

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