Das weite Land: Ein hinreißendes Ergebnis

Das weite Land: Ein hinreißendes Ergebnis
Kritik: Werner Schneyders präzise Inszenierung von Schnitzlers "Das weite Land" beeindruckt im Salzburger Landestheater.

Als aktiver Theaterfreund trifft man immer wieder auf dieses wunderbare Stück. Zuletzt im Burgtheater, in Kusejs Münchner Residenztheater, in der Josefstadt. Generationen von Regisseuren arbeiteten sich mit mehr oder weniger Erfolg daran ab, diese brütende Zeitenwende-Tragikomödie zu interpretieren. Andrea Breths starbesetzte, virtuos-düstere psychologische Tiefenbohrung bei den Salzburger Festspielen 2002 bleibt unvergesslich.

Und dann kommt Werner Schneyder, ausgestattet mit der ganzen Neugier seiner 75 Lebensjahre, und macht etwas Unerhörtes: Er interpretiert überhaupt nicht, sondern inszeniert einfach das Stück. Darf man das im Theater überhaupt noch?

Das hinreißende Ergebnis: Noch nie sah man das komplizierte Beziehungsgeflecht dieses Stücks so genau und klar dargestellt. Nur ein Beispiel: Für die Figur des Bankiers mit dem vielsagenden Namen Natter interessiert sich normalerweise niemand wirklich. Schneyder aber zeigt präzise, dass Natter eigentlich die Schlüsselfigur ist: Vom scheinbar übermächtigen Hofreiter gedemütigt und gehörnt, treibt er diesen zum Schluss durch Verleumdung und Provokation in ein sinnloses Duell und vernichtet ihn dadurch gesellschaftlich.

Menschen

Was Schnitzlers berühmtestes Stück so faszinierend macht: Wie bei Shakespeare sind die Personen nicht ausrechenbar. Sie verhalten sich unlogisch, sie tun Dinge, die sie selbst überraschen – wie echte Menschen auch. Wobei Schnitzlers Werk auch eine Gemeinheit für jeden Regisseur darstellt: Es gibt nämlich keine Nebenfiguren. Diese Tatsache überlastet nahezu jedes Ensemble. Üblicherweise sucht der Regisseur dann einen dämonischen Hofreiter, eine elegante Genia und eine sexy Erna – und hofft das Beste.

Schneyder geht einen ganz anderen Weg: Hier wird nicht geglänzt, hier wird Theater gespielt. Der Star ist der Text. Alle, die vorab schon Pointen über das Ensemble des Salzburger

Landesstheaters zurechtschliffen, wurden verblüfft: Dieser Abend ist vor allem eine Ensembleleistung. Sicher sah man schon bessere Schauspieler, aber selten so genau und uneitel arbeitende.

Sascha Oskar Weis ist ein sehr guter Hofreiter, dem man mit Interesse zusieht, eben weil er darauf verzichtet, den Frauenhelden, dem die eigene Jugend entflieht, als bösen Wolf zu zeichnen. Großartig, wie sachlich und ohne Selbstmitleid dieser Hofreiter den eigenen Untergang kommentiert.

Franziska Becker als Hofreiters Ehefrau Genia ist, ja, elegant –, aber vor allem glaubwürdig. Karlheinz Hackl ist als Dr. Aigner (in seiner letzten Theaterrolle) ein beängstigend zartes, durchsichtiges Gespenst.

Elisabeth Halikiopoulos als Erna, Ulrike Walther als Frau Meinhold, Gero Nievelstein als Dr. Mauer (die heimliche Hauptperson), Christoph Wieschke als Natter, aber auch alle anderen spielen hoch anständig und vor allem klar.

Hat das Premieren-Publikum verlernt, so etwas zu schätzen? Der Applaus fiel erstaunlich kurz aus.

Fazit: Schneyder spielt Schnitzler

Stück: Rund um das Fabrikanten-Ehepaar Hofreiter spinnt sich ein dichtes Geflecht aus Liebe, Begehren, Hass, Betrug, Verleumdung. Eine Gesellschaft amüsiert sich über den eigenen Untergang zu Tode. Übrig bleiben Gespenster.

Inszenierung: Werner Schneyder interpretiert nicht, er spielt Schnitzler. Großartig.

Spiel: Wunderbar uneitel und genau.

KURIER-Wertung: ***** von *****

Kommentare