Das Volkstheater zeigt Nestroy die lange Deix-Nase

Thomas Frank (links) als "Damian Stutzel", Lukas Holzhausen als "Georg Michael Zins" und Günter Franzmeier als "Schlucker" (rechts).
"Zu ebener Erde und erster Stock": Susanne Lietzows Nestroy trennt das Volkstheaterpublikum.

Die Trennung nach Etagen, welche die Bühne beherrscht, die dominiert auch den Zuschauerraum: Oben am Rang (in Wien genau aus diesem Grund "Juchhee" genannt) wurde um begeisterte Stimmung gerungen, bis die Handflächen glühten.

Unten im Parterre gab es demonstrativen Applaus-Streik und heftige Buhs für die Regisseurin. Einig war sich das Publikum nur beim Jubel für die tolle Band, die nicht nur Nestroy-Couplets im Tom-Waits-Stil in schönster Grindigkeit erstrahlen ließ, sondern mit Geräuscheffekten dem Abend eine interessante Tonspur gab.

In Johann Nestroys "Lokalposse" geht es um zwei Familien: Im Erdgeschoß haust die arme Familie Schlucker, in ersten Stock logieren die reihen Goldfüchse. Nach den für Nestroy typischen aberwitzigen Einfällen eines übermotivierten Schicksals kehren sich die Verhältnisse um und ein der damaligen Zensur geschuldetes, in allen Scharnieren quietschendes Liebes-Happy-End sorgt für Wohlbefinden.

Nase und Popo

Regisseurin Susanne Lietzow begeht einen Fehler, den mit viel Sendungsbewusstsein ausgestattete Regisseure gern begehen: Sie überzeichnet die Charaktereigenschaften der Figuren ins Karikaturenhafte. Mit verlängerten Nasen und aufgedoppelten Hinterteilen wirken die Personen wie Deix-Figuren, und sie benehmen sich auch so. Die an sich doch völlig logische Folge: Sie werden damit irrelevant.

Das Wesen eines guten Witzes besteht eben darin, dass er sich selbst erklärt und nicht erklärt werden muss. Wenn man Nestroys eh schon keineswegs subtilen Geschichten noch weiter Richtung Drastik schiebt, werden sie uninteressant.

Anders gesagt: Dass die da unten arme Teufel sind, denen außer ein bisschen Alkohol wenig bleibt; dass die da oben an real existierende gräfliche Großlandwirte mit guten Verbindungen ins "Wo woar mei Leistung?"-Milieu erinnern;

das merkt man, falls man nicht völlig hirntot im Theater sitzt, ohnehin selber. Wenn man den ganzen Abend lang von der Inszenierung mit der Nase drauf gedrückt wird, fühlt man sich irgendwann belästigt.

Es ist jammerschade, herrliche Nestroy-Figuren werden an die Parodie verschenkt. Bei einer Massen-Kotz-Szene bekommt man Angst, die zeitgleich auf ORF1 laufende Sendung "Narrisch guat" sei ins Theater durchgeschaltet worden. Tolle Schauspieler wie Nadine Quittner, Sebastian Pass, Katharina Klar, Günter Franzmeier, Claudia Kottal und ein gnadenlos analytisches, politisches Couplet von Standard-Kolumnist Hans Rauscher können nichts mehr retten.

Fazit: Missglückt.

Stück: Nestroys „Lokalposse“ thematisiert nicht nur die relative Zufälligkeit sozialer Verhältnisse, sondern sie ist auch voll von herrlichen Typen, sprachlichem (Aber)-Witz und bösen Pointen.

Regie: Von all dem bleibt in Susanne Lietzows überzeichnender Inszenierung wenig übrig. Dass der Text akustisch kaum zu verstehen ist, ist außerdem ein handwerklicher Fehler. Dennoch ist das kein dilettantischer Abend, sondern eine hoch professionelle, aber missglückte Arbeit. Die Musik ist toll!

KURIER-Wertung:

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