"Wie sehen Massenmörder aus?"
Zuletzt hörte man von ihm aus Hollywood: Dort drehte Regisseur Stefan Ruzowitzky seinen ersten US-Film – den Thriller „Deadfall“. Mit seinem neuen Filmprojekt, der Doku „Das radikal Böse“ (Kinostart: 17.1.) schließt er thematisch an sein Oscarpreisträger-Drama „Die Fälscher“ an. In dem Nonfiction-Drama geht es um die Naziverbrechen der deutschen Einsatzgruppen in Osteuropa. Dort wurden ab 1941 rund zwei Millionen Menschen, großteils davon jüdische Zivilisten, systematisch ermordet. Ruzowitzky versucht in seiner sehr stilisierten, pädagogisch ausgerichteten Arbeit, die Psychologie der Täter zu erforschen. Experten wie Psychiater und Historiker kommen in Interviews zu Wort.
KURIER:Wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen?
Stefan Ruzowtzky: Amerikanische Produzenten haben mich gefragt, ob ich nicht einen Film über die Verbrechen der deutschen Einsatzgruppen in Osteuropa machen möchte. Ich muss gestehen, dass mir die Dimension der Gräueltaten nicht wirklich ein Begriff war. Ich bin draufgekommen, dass das bei vielen Menschen so ist.
Warum sind diese Verbrechen wenig bekannt?
Die Konzentrationslager und Gaskammern waren so etwas spektakulär Neues, dass vergessen wurde, was dem vorangegangen ist: Ein ganz konventioneller Genozid, wo Soldaten von Dorf zu Dorf ziehen und morden. Man kennt eventuell das Massaker von Babyn Jar in der Ukraine: Damals wurden über 30.000 Menschen in zwei Tagen umgebracht. Doch das war kein Einzelereignis, wie man vielleicht glauben möchte. Daneben gab es noch andere Massaker, wo mehr als 20.000 Menschen umgebracht wurden, und unzählige weitere, wo Tausende ermordet wurden. Das wissen die wenigsten.
Sie lassen Schauspieler aus dem Off haarsträubende Texte von Soldaten lesen, die flott von ihren Mordtaten berichten. Wo haben Sie das Material her?
Das ist eine wilde Mischung. Mir ging es darum, ein Panorama über die Geisteswelt der Täter zu geben. Das sind Briefe, die nach Hause geschrieben wurden, Tagebucheintragungen, Gerichtsaussagen, die Begründung eines Urteils, Passagen aus einer Himmler-Rede. Es geht mir darum, psychologisch zu erfassen, was dazu geführt hat, dass aus normalen, netten jungen Leuten Massenmörder werden.
Sie sprechen von „normalen Leuten“, die Mörder werden. Warum dieser etwas sensationalistische Titel Ihrer Doku, „Das radikal Böse?“ Ist das nicht ein Widerspruch zur Normalitätsthese?
Leider eben nicht: Es hat sich gezeigt, dass gerade die „normalen Menschen“ die schrecklichsten Verbrechen begangen haben. Primo Levi hat gesagt: Vor den Ungeheuern muss man sich nicht fürchten, das sind zu wenige, die normalen Menschen, die sind gefährlich.
Seit Mitte der 90er-Jahre wurden durch die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ erstmals diese Massenmorde breiter diskutiert. Knüpfen Sie daran an?
Ihre Doku ist sehr stilisiert: Aus dem Off erzählt etwa ein Soldat, warum er immer die Kinder erschossen hat. Dazu sieht man das Gesicht irgend eines Statisten in Uniform. Was genau zeigen Sie damit?
Wenn man diese unsäglichen Statements liest, denkt man, was für außerirdische Monster müssen das gewesen sein! Wenn man nun im Film dazu ganz normale Männer sieht, erkennt man, dass die Täter wahrscheinlich auch solche Durchschnittstypen waren. Ich finde es interessant zu überlegen: Wie sieht ein Massenmörder aus? So harmlos und nett wie der hübsche Junge hier? Oder war das vielleicht doch der grausamste? Mir ging es so, als ich überlegte, welche Sätze zu welchen Gesichtern passen würden – und habe dem netten Jungengesicht die schrecklichsten Zitate gegeben. Eben, weil man es nicht sehen kann. Was man aber schon sieht: Das sind ganz normale durchschnittliche Männer, die diese Statements abgeben. Keine Fanatiker oder Ideologen.
Laufen Sie mit psychologischen Erklärungen nicht Gefahr, die Täter auch in gewisser Weise zu entschuldigen?
Dieser Gefahr war mir von Anfang an klar – dass Analysen als Entschuldigung missverstanden werden. Deswegen wird es auch im Film angesprochen: Nur weil ich eine historische Situation verstehe oder bis zu einem gewissen Grad erklären kann, entschuldige ich sie nicht. Es gab ja auch immer wieder Menschen, die nicht mitgemacht haben und durch ihr Verhalten zeigten, dass es eben kein Schicksal war, an einem Verbrechen teilnehmen zu müssen. Dass man sich also sehr wohl entscheiden konnte.
Stefan Ruzowitzky, geboren in Wien 1961, debütierte mit dem Spielfilm „Tempo“ (1996). „Die Siebtelbauern“ (1998) wurden ein internationaler Festival-Erfolg. Es folgten u. a. „Anatomie“ (1999) und das KZ-Drama „Die Fälscher“ (2007), für das er den Auslandsoscar erhielt.
Neue GenerationIn der Täter-Doku „Das radikal Böse“, die Ruzowitzky vor allem für eine junge Generation drehte, fragt er nach dem Warum von Verbrechen: „Als Filmemacher und Geschichtenerzähler ist das ja mein tägliches Brot: Mich interessiert, wie Menschen funktionieren.“
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