"Das Kino muss zerstört werden"

Buch und Film: „Die Gesellschaft des Spektakels“– Schlüsselwerk für die Studentenbewegung Mai ’68
Retrospektive der Filme von Guy Debord im Österreichischen Filmmuseum.

Keiner wollte früh ins Bett gehen. Stattdessen wurde die ganze Nacht diskutiert. Denn man musste alles neu erfinden, um der Meister des eigenen Lebens zu sein. Dazu gehörte es, nicht einer geregelten Arbeit nachzugehen, die Produktionsbedingungen des Kapitalismus zu verweigern und stattdessen den Tag zur Nacht zu machen. In seinem Kurzfilm "Über den Durchgang einiger Personen durch eine relativ kurze Zeiteinheit" (1959) beschwört Guy Debord die Geburtsstunde des Situationismus und plädiert emphatisch für eine Umwälzung des Alltagslebens. In seiner essayistischen Momentaufnahme zwischen Fotografie und Kinobild beobachtet er das Alltagsleben in "Paris 1952" und den Strom der Menschen, die zu ihrer Arbeit marschieren. Dazwischen montiert er Bilder von Aufständischen, die gegen Polizeigewalt aufbegehren und die Schauspielerin Anna Karina im Schaumbad. Eine beschwörende Stimme aus dem Off fordert: "Das Kino muss zerstört werden."

Guy Debord war die Schlüsselfigur der Situationistischen Internationalen, die sich 1957 als radikale, antikapitalistische Bewegung gründete und aus einer Mischung aus Künstlern, Dichtern, Intellektuellen und "Spontivereinigung" bestand. Sein Hauptwerk "Die Gesellschaft des Spektakels" von 1967 beeinflusste die Studentenbewegung des Pariser Mai 1968 maßgeblich. In seinem gleichnamigen Essayfilm von 1973 verwebt er Szenen aus Hollywood-Klassikern wie "Johnny Guitar" mit Fernseh-Spots, Softpornos und Nachrichtenbilder und liefert damit eine beißende Analyse der Selbstinszenierung unserer Konsumgesellschaft.

Debord & Assayas

Der französische Filmemacher Olivier Assayas ("Carlos") war schon als Teenager von den radikalkritischen Ansätze der Situationisten beeindruckt. Gemeinsam mit Alice Debord ist er Gast im österreichischen Filmmuseum, das am Freitag seine Filmschau "Guy Debord" eröffnet.

Alice Debord, geborene Becker-Ho, war seit 1963 in der Situationistischen Internationalen aktiv und ab 1972 mit Guy Debord verheiratet (Debord beging 1994 Selbstmord). Sie wird mit Olivier Assayas am Freitag Guy Debords Filme diskutieren. Eine einmalige Gelegenheit.

Info: www.filmmuseum.at

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