„Das ist das wahre Theater“: Aus dem Nichts entstehen Zauberwelten

Alle in nackten Fatsuits: Mavie Hörbiger als Sklavenhändler und seine Gesprächspartner in Marokko
Fast scheint es, als wolle man im Burgtheater dem einstigen Direktor am Zeug flicken: Vor einem Monat präsentierte Frank Castorf seinen Gegenentwurf zu Thomas Bernhards „Heldenplatz“, mit dem Claus Peymann 1988 triumphiert hatte. Und nun, am Freitag, kam im Kasino Schwarzenbergplatz „Peer Gynt“ heraus – genau 30 Jahre nach Peymanns Inszenierung.
Die Zugänge könnten nicht unterschiedlicher sein: Peymann, der Henrik Ibsen gerecht werden wollte, setzte das dramatische Gedicht mit einem Riesenensemble in aufwendigen Bühnenbildern von Achim Freyer um – und brauchte für das Stationendrama, das deutliche Parallelen zu „Faust“ und „Jedermann“ aufweist, fünf Stunden. Thorleifur Örn Arnarsson hingegen erzählt die turbulente Lebensgeschichte des sympathischen Tunichtguts Peer Gynt mit nur sechs Akteuren in 110 Minuten.
Bühnenbild im eigentlichen Sinn braucht er keines: Der isländische Regisseur begnügt sich mit dem historischtischen Ambiente samt Patina. Ausstatter Daniel Angermayr lässt in erster Linie Bodennebel fließen (die Nebelmaschine ist derzeit groß in Mode). Aus dem Dunkel erscheint ein mit Perserteppichen belegter Diwan – mit Barbara Petritsch darauf ruhend. Ihre prächtig gewandete Mutter Aase erinnert an die Märchen aus „Tausendundeiner Nacht“. Es geht ja um das Erzählen an sich. Den Sohn darf Petritsch aber nicht gleich der Lüge zeihen: Arnarsson bringt als mottohaftes Intro den Dialog mit dem Fremden, der Peers Kadaver erbittet, um den Sitz der Träume zu erforschen.
Auf Aktualität bedacht
Zuvor noch leitete Gabriel Cazes den wundersamen Abend – jede Figurenkonstellation ergibt sich magisch aus dem Nichts – am Flügel mit jazzig-romantischen Melodienbögen ein. Später einmal haut er auf die Tasten und begleitet sich dabei am Schlagzeug oder entlockt der Gitarre bedrohliche Sounds.
Arnarsson verzichtet auf doppelte Böden und Tricks, alles ist offensichtlich. Trotzdem entstehen Zauberwelten: „Das ist das wahre Theater!“ So lautet in dieser auf PC und Aktualität bedachten Bearbeitung (von Gottfried Greiffenhagen) einer der ersten Sätze Peer Gynts.
Mavie Hörbiger steht als Lausbub auf der Spielfläche: schelmisch, keck, verwegen, in kurzer Hose und Kniestrümpfen, mit einer sonderbaren Jockeymütze auf dem Kopf, alle Teile in Schwarz.
Und sie brilliert von der ersten Sekunde an – unter anderem mit ihrer herausragenden Artikulation. Gebannt hört man ihr zu, gebannt folgt man ihr zu den Trollen (mit Lukas Vogelsang als schwitzenden 70er-Jahr-Entertainer-König) und weiter nach Afrika. Ein mit Plastikfolie bespannter Quader symbolisiert das Irrenhaus und die gesellschaftlichen Zwänge, alle tragen nackte Fatsuits. Viel zu schnell geht es ans Sterben, ein Entrinnen ist unmöglich: Johannes Zirner verweist als Knopfgießer aufs Reclam-Heftchen. Und Lilith Häßle berührt als Solveig: Da werden die Augen feucht. Nicht wegen der Zwiebelschalen! Getrampelter Orkan der Begeisterung.
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