Das Buch vom pissgelben Fahrrad

Jede Erzählung wird zum Lied: Der Kärntner Christoph W. Bauer lebt in Innsbruck.
16 Erzählungen des Kärntners Christoph W. Bauer, eine überraschender als die andere

Zum Beispiel der Universitätsprofessor. Eines Tages hat er den Hörsaal betreten und zu seinen Studenten gesprochen:

„Meine Damen und Herren, ich will mich kurz halten: Ich bin ein Trottel ...“

Er hat dann in einem Akt der Selbsterkenntnis noch angemerkt, dass denjenigen im Saal, die noch immer mitschreiben, ohnehin nicht mehr zu helfen sei.

Was die Studenten nicht wussten (aber auch schon egal war):

In der Wohnung des Universitätsprofessors stand zu dieser Stunde ein pissgelbes Fahrrad. Es gehörte nicht ihm. Keine Ahnung, wem es gehört hat.

Ernest

Und der leitende Beamte des Gesundheitsamtes:

Er hat sein Gesicht im Büro vergessen. Durchaus möglich, dass er sein Gesicht im Büro sogar verloren hat.

Aber das macht nichts, er geht in den Supermarkt und mietet sich eines. Soll er das Modell „Der Stecher mit Verantwortung“ nehmen?

Seine Frau ist übers Wochenende zu einer Freundin in die Schweiz gefahren.

Lieber Typ „Ernest Hemingway“? Ein bisschen Hemingway ums Kinn kann nie schaden.

Ein pissgelbes Fahrrad hätte ihn übrigens auf dem Weg in die nächste Bar fast umgeworfen.

So in etwa geht das insgesamt 16 Erzählungen lang. Der in Innsbruck lebende Kärntner Schriftsteller Christoph W. Bauer führt vor, was er kann.

Er kann viel.

In der ORF-Bestenliste ist „In einer Bar unter dem Meer“ deshalb im Dezember von einer Fachjury auf Platz eins gewählt worden.

Jede Geschichte kann er zu einem Song machen. Oft ist es Punk. Verträumtes ist auch dabei. Bauer selbst hat sich beim Schreiben jeder Geschichte ein bestimmtes Lied in Endlosschleife angehört.

Er braucht jeweils wenige Sätze, um Lesern die Flucht aus dem Buch schwer möglich zu machen. Der 45-Jährige wirft sich wuchtig ins Geschehen, seine Charaktere entwickeln sich wie von allein.

Er hat gute Sätze.

„Schön, dass es auch Frauen mit dicken Strümpfen gab“. Das hat etwas.

„Spießer passen in ein Sackerl“ ist der persönliche Favorit, der heute noch an die Bürotür gepickt wird.

Wendepunkt

Gibt es einen roten Faden? (Braucht denn jemand einen solchen?)

Das pissgelbe Fahrrad kommt mehrmals vor. Menschen aus der einen Geschichte tauchen in einer anderen wieder kurz auf. Unaufdringlich ist alles miteinander verflochten.

Und es ist immer der Alltag, aus dem der Autor sein Personal an einen Wendepunkt schubst. Er hält sich nicht lang mit dem Vorher auf, und das Danach lässt er gern unbeantwortet.

Nur anfangs scheint beruhigend, dass man selbst in eine solche Situation nie kommen wird.

Wie schnell das aber geht – hier steht es, hintereinander, Schlag auf Schlag. Das Leben dreht sich innerhalb von Sekunden. Manchmal unbeabsichtigt, und manchmal hat jemand sogar den Mut, etwas zu ändern.

Die Gitarre eines lästigen Straßenmusikanten zu zerschmettern etwa. Oder endlich das zu tun, was man mit seiner Ehefrau immer machen wollte, aber am Geld scheiterte – nach Venedig zu reisen, auch wenn sie jetzt tot ist.

Christoph W. Bauer überrumpelt gern. Unberührt lässt keine seiner Momentaufnahmen.

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Denn es kann einem nicht egal sein, wenn ein Kerl wie Herr Branzer zur Attrappe wird: Wenn er im Auftrag seiner Stadt als Polizist (der er nicht ist) durch die Straßen geht, um den Eindruck zu erwecken, es werde für Sicherheit gesorgt.

Wenn er mit einem „Essen auf Rädern“-Auto unterwegs ist, ohne Essen auszutragen – sozial alles okay! Und im Maurergewand furzend Wurstsemmeln isst – es geht aufwärts mit der Wirtschaft!

Die Kirche hätte ihn auch gern engagiert, damit er täglich im Dom mit Andachtsmiene vorbetet. Aber diesen Job hat er nicht angenommen. In Sachen Fake, hat er zum Vikar gesagt, seid ihr die Meister.

KURIER-Wertung:

INFO: Christoph W. Bauer: „In einer Bar unter dem Meer“ Haymon Verlag. 232 Seiten. 19,90 Euro.

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