Dann schon lieber ein Hummer als ein Hund

Schräg: Yorgos Lanthimos’ Liebessatire „The Lobster“ mit Léa Seydoux und vielen Tieren
Das Mittelmaß der großen Namen, das Liebesleben des Hummers und Vorboten auf Oscar.

Wenn Sie die Wahl hätten: Was für ein Tier wären Sie gerne? Vielleicht ein Hummer? Der Hummer hat eine hohe Lebenserwartung – vorausgesetzt, er wird nicht ins heiße Wasser geworfen –, sein Sexualtrieb hält lange an und seine Fruchtbarkeit auch. Doch die meisten Menschen, vor die Wahl gestellt, sich in ein Tier zu verwandeln, entscheiden sich für den Hund. Was das alles mit dem Filmfestival in Cannes zu tun hat? Nun, der Hummer befindet sich nicht nur auf den Speisekarten der überlaufenen Fischlokale; er ist auch Titelheld eines der originellsten Spielfilme, die es dieses Jahr in den Hauptwettbewerb des weltwichtigsten Filmfestivals gebracht hat: "The Lobster", eine schräge Sci-Fi-Farce des Griechen Yorgos Lanthimos.

Colin Farrell trägt darin einen beachtlichen Bauch und spielt einen Mann, der 45 Tage Zeit hat, sich in einem Wellness-Hotel in eine Frau zu verlieben. Wenn nicht, wird er zum Hummer.

Was uns das über die Polit-Situation in Griechenland erzählt? Wahrscheinlich nichts. Aber Lanthimos’ sardonische Liebessatire zählte zu den herausragenden Beiträgen in einem Bewerb, in dem große Namen oft nur mediokre Filme lieferten.

Dazu gehörte Gus Van Sant mit seinem esoterischen Fadisierer-Film "A See of Tree"; Denis Villeneuve mit seinem zerfahrenen Drogenthriller "Sicario". Und selbst Paolo Sorrentinos "Youth" – eine Elegie über das Älterwerden mit tollen Männern wie Michael Caine und Harvey Keitel – war zwar unterhaltsam Anzusehen, ging einem aber letztlich beim rechten Auge hinein und beim linken wieder hinaus.

Oscar-Vorboten

Dann schon lieber ein Hummer als ein Hund
Son of Saul Film Still / SAUL FIA (SON OF SAUL) by László NEMES
Wenn nicht gerade über den Stöckelschuh-Zwang auf dem roten Teppich debattiert wurde, beherrschte ein Thema beinahe durchgehend die abendlichen Tischrunden: Das ungarische Holocaust-Drama "Son of Saul" von László Nemes. "Son of Saul" spaltete die Geister, erhielt hymnische Lobreden und erbitterte Ablehnung.

Nemes erzählt die Geschichte des Juden Saul, der in Auschwitz zum Sonderkommando gehört und die Vergasungen jüdischer Häftlinge überwacht. In einem toten Kind glaubt er, seinen Sohn zu erkennen, und er möchte ihm ein jüdisches Begräbnis zukommen lassen.

Nemes drehte auf 35-mm-Film im 4:3-Format und klebte seine virtuose Handkamera fast durchgehend auf das Gesicht seines Protagonisten. Aus dessen Perspektive – einer Art Tunnelblick – erscheinen die grauenvollen Abläufe innerhalb des KZ als albtraumhaftes Chaos, durch das man sich fast blind seinen Weg bahnen muss. Nemes beschwört die Wucht der Tötungsmaschinerie mit grellem Sound-Design und taumelnder Kamera. Doch kann er nicht verhindern, dass Sauls Mission immer mehr an Thriller-Spannung gewinnt und dadurch die Gräueltaten an anderen Häftlingen zum Hintergrund degradiert.

Dann schon lieber ein Hummer als ein Hund
cannes
Sony Classics kaufte um eine kolportierte Million Dollar "Son of Saul" für den US-Markt – ganz klare Vorboten für eine Oscar-Nominierung. Während in der ersten Hälfte des Wettbewerbs Prachtstücke wie Todd Haynes’ Highsmith-Verfilmung "Carol" zu den raren Höhepunkten zählte, nahm das Programm zum Ende hin wieder an Fahrt auf. Der Franzose Guillaume Nicloux ("Die unabsichtliche Entführung des Michel Houellebecq") schickt in "Valley of Love" Isabelle Huppert und Gérard Depardieu in die Wüste. Die beiden spielen ein getrenntes Paar, das sich auf Wunsch seines verstorbenen Sohnes im Death Valley trifft. "Ich bin fett geworden", sagt Depardieu. "Wer so aussieht, kann nicht glücklich sein."

Doch sein feines Spiel, im Duett mit Huppert, sorgte für einen der glücklichen Momente im Kino in Cannes.

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