"Ingolstadt" bei den Salzburger Festspielen: Das Leiden am Mannsein
Die beiden Neuen haben ihre erste Burg-Premiere in Salzburg (Mittwoch, Perner-Insel): „Ingolstadt“ ist eine Montage aus verschiedenen Texten der großen Chronistin der Kleinbürgerlichkeit, Marieluise Fleißer. Inszeniert hat Ivo van Hove. Im September wechselt die Produktion nach Wien.
KURIER: Sie sind neu im Burgtheater-Ensemble. Wie fühlt es sich an?
Dagna Litzenberger Vinet: Wunderbar!
Maximilian Pulst: Wir sind noch am Anfang, somit ist alles aufregend neu. Neue Stadt!
Dagna Litzenberger Vinet:Neue Gesichter!
Maximilian Pulst: Noch keine Wohnung (lacht).
Haben Sie von Wien schon etwas gesehen?
Maximilian Pulst: Ja, ich habe viele Spaziergänge gemacht. Viele Vorschläge bekommen, wo man in Wien zu leben hat.
Hier sind die Schauspieler enorm beliebt.
Maximilian Pulst: Das ist offenbar die letzte Stadt im deutschsprachigen Raum, wo das so ist. Das ist schön, aber darauf muss man sich erst einstellen: Dass Theater hier so eine Bedeutung hat.
Dagna Litzenberger Vinet: Ich bemerke in Räumen wie diesem (das Interview findet im „Erzherzogzimmer“ statt) eine große Heiligkeit! Das ist ein Licht, das ich sehr schön finde. Ich genieße diese ganze reiche kulturelle und historische Umgebung, in der das Theater steht, sehr.
Wir bilden uns ja gerne ein, es ist das wichtigste Theater der Welt.
Dagna Litzenberger Vinet:Ich komme aus Frankreich, und dort hat man vom Burgtheater noch nie gehört.
Maximilian Pulst: Das Gebäude hier strahlt natürlich viel aus, aber die Menschen hier spielen dieses Spiel nicht mit. Das macht es umgänglich für Menschen, die neu kommen. So kann man arbeiten, ohne diese Heiligkeit auf dem Buckel zu tragen.
Dagna Litzenberger Vinet: Bei der ersten Probe auf dieser Bühne war ich, ich gebe es zu, überwältigt. Aber irgendwann spielt man einfach.
Die Autorin von „Ingolstadt“, Marieluise Fleißer, ist hier kaum bekannt. Vielleicht führt dieses Projekt dazu, dass sie endlich wieder entdeckt wird.
Maximilian Pulst: Man hat mir gesagt, dass es hier am Burgtheater eine einzige Inszenierung von „Fegefeuer in Ingolstadt“ gab, vor fast vierzig Jahren. Man kann sie vergleichen mit Horváth, was die Reduktion der Sprache betrifft. Man fragt sich immer, ist es ein Dialekt oder ist es Kunstsprache?
Dagna Litzenberger Vinet: Sie war ihrer Zeit voraus, als schreibende Frau, und wurde viele Jahre lang ignoriert.
Sie wurde von Männern bewundert, aber auch behindert, etwa von Brecht oder ihrem Ehemann.
Dagna Litzenberger Vinet: Der Ehemann hat ihr gesagt, du wirst schreiben können – und nach der Hochzeit wollte es das nicht mehr. Sie war entmündigt, gefangen im Korsett ihrer Zeit.
Wie ist diese harte, karge Sprache zu spielen?
Dagna Litzenberger Vinet: Wir haben so kurze Sätze. Und ich, die nicht deutschsprachig aufgewachsen ist, muss die Worte auswendig lernen und den Sinn darin finden.
Vielleicht ist das ein Vorteil?
Dagna Litzenberger Vinet:Ich habe mich das auch gefragt. Mein erster Satz ist gleich: „Wärst gangen damit, dann tätest das wissen.“ Ich weiß natürlich, was das heißt, aber mir fällt die Reihenfolge der Wörter schwer – mit dieser Fremdheit kann ich spielen.
Maximilian Pulst: Es gibt in diesen Sätzen oft grammatikalische Verschiebungen, die man sich nicht erklären kann – als Muttersprachler möchte ich das automatisch richtigstellen. Aber das würde eben die Schärfe und Irritation rausnehmen.
Bitte beschreiben Sie Ihre Figuren.
Dagna Litzenberger Vinet:Ich spiele Alma. Sie ist eine sehr besondere Person in diesem Stück. Sie ist die einzige, die eine Hoffnung reinbringt. Sie ist eigenständig und steht mit hoch erhobenem Kopf, obwohl sie als Frau, die um ihre Unabhängigkeit kämpft, einen schweren Stand hat.
Maximilian Pulst: Ich spiele Korl, er ist ein Pionier, der nach Ingolstadt kommt, um hier eine Brücke zu bauen. Dieser Korl ist schon durch viele Städte gezogen, hatte schon viele Frauen, hat schon Kinder gezeugt. Wahrscheinlich durfte er die Liebe für sich nie zulassen. Alle Personen bei Fleißer sind auf der Suche nach ihrem eigenen Glück, aber die Umstände machen es unmöglich. Das ist sehr modern für mich: Wie will ich als Mann leben? Dieser Korl ist eine sehr verlorene Figur – und seit damals hat sich wenig geändert, was ich erschreckend finde.
Dagna Litzenberger Vinet: Er leidet daran, wie man als Mann zu sein hat.
Dagna Litzenberger Vinet
kam in den USA zur Welt und wuchs in Frankreich, der Schweiz und Deutschland auf. Spielte lange am Schauspielhaus Zürich.
Maximilian Pulst
wurde in Halle geboren. Studierte Automatisierungssysteme, Kultur und Medienpädagogik. Spielte bei den Salzburger Festspielen und in „Alma“.
Marieluise Fleißer
lebte von 1901 bis 1974 vor allem in Ingolstadt. Ihre Erzählungen und Stücke spielen meist in ihrer Heimatstadt. Beeinflusste Brecht.
Es gibt derzeit heftige Diskussionen über den Umgang miteinander am Theater. Schauspielerinnen berichten von gewalttätiger Sprache, von Übergriffen. Wie erleben Sie das?
Dagna Litzenberger Vinet: Ein großes Thema (seufzt).
Maximilian Pulst: Dieser Diskurs ist wichtig. Es ist wichtig, dass wir uns ständig hinterfragen. Denn wir haben eine Ausstrahlung in die Gesellschaft. Und wir müssen gleichzeitig diesen Diskurs auch künstlerisch bewerten.
Dagna Litzenberger Vinet:Wichtig ist, dass darüber gesprochen wird. Das Thema ist nicht neu – neu ist, dass man es nicht mehr verschweigt. Denn Frauen müssen eine Stimme bekommen.
Ich frage auch deshalb, weil das Theater ja gerne als moralische Anstalt auftritt.
Maximilian Pulst:Unsere Verantwortung ist es, zuzugeben, dass wir Aufholbedarf haben. Natürlich menschelt es auch bei uns, davor sind auch wir nicht gefeit. Wir als Theater müssen es schaffen, zuzugeben, dass man scheitert. Und den Weg weitergehen.
Aber wie geht man konkret damit um? Eine Probensituation, ein Regisseur wird verbal gewalttätig, brüllt. Sagt man da etwas? Dagna Litzenberger Vinet: Das ist eine gute Frage.
Maximilian Pulst: Ich persönlich habe nichts dagegen, wenn es mal laut wird. Wichtig ist aber, dass alle sensibilisiert sind, ein Bewusstsein davon haben, was in einem solchen Moment vor sich geht. Dass man aufeinander schaut. Nur weil ich es aushalte, muss es ja jemand anderer nicht unbedingt aushalten.
Dagna Litzenberger Vinet: Im Idealfall ist der Raum so offen, dass sich alle ausdrücken können und sich jeder gehört fühlt. Das Schlimme ist, wenn man das Gefühl hat, dass man nicht reden kann, dass man einem System ausgeliefert ist. Theater ist immer ein Spiegel der Gesellschaft, es repräsentiert auf der Bühne, was draußen in der Welt passiert.
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