"Coco": Im Reich der Totenköpfe

Singende Skelette in Pixars "Coco"
Hinreißendes Pixar-Abenteuer im mexikanischen Jenseits.

Das findige Trickfilmstudio Pixar hat tief in die Diversitätskiste gegriffen: Erstmals wurde ein Abenteuer maßgeschneidert, in dem nicht-weiße Menschen (und Skelette) die Hauptrolle spielen. Das mexikanische Personal in Pixars farbenfroher Augenweide stellen ein kleiner Junge namens Miguel – und seine gesammelten Familienmitglieder (die lebendigen und die toten) . Trefflich animiert und im witzigen Detail sprühend vor Einfallsreichtum, schmeißt sich die Geschichte hemmungslos in die Arme von Mexikos Traditionen. Dort wird am Tag der Toten, einem der höchsten Feiertage des Landes, traditionell der Verstorbenen gedacht, die aus diesem Anlass den Lebendigen einen Besuch abstatten.

Nicht so bei Pixar, wo es umgekehrt zugeht: Miguel setzt auf der Suche nach einem Vorahnen versehentlich über eine Brücke über und landet im Reich der Toten. Dort, im Pixar-Hades der magischen Farben sieht es aus wie bei einer Tim-Burton-Fiesta. Gelenkige Skelette mit schwarz geränderten Augen, deren Knochen mit Cowboy-Hosen und Flamenco-Röcken behängt sind, lungern mit Schlapphüten und Gitarren herum. Frieda Kahlo befindet sich auch darunter.

Viele der Knochenmänner- und Frauen versuchen, die Grenzkontrolle zu passieren, um den Lebendigen ihren Besuch abzustatten. Denn nur, wer noch Verwandte im Diesseits hat, die sich an ihn erinnern, darf über die Brücke gehen. Und wenn es einmal so weit kommt, dass ein Toter völlig in Vergessenheit gerät, dann lösen sich auch seine Gebeine in Luft auf.

Lange Zunge

Eher triste Voraussetzungen, um eine fröhliche Geschichte zu erzählen, zumal ein Gutteil des Filmes bei Nacht und im Totenreich stattfindet. Der traurige Kampf der Skelette gegen das Vergessen werden unterfüttert das Bubenabenteuer mit melancholischen Untertönen und taucht die nachtschwarze Unterwelt in glühende Herbsttöne von Orange, Braun und rot.

Doch Miguel und sein Hund Dante bringen energischen Schwung und viel (Mariachi-)Musik in die Gräber. Besonders der Hund sorgt für Heiterkeit, nachdem er gerne über seine überlange Zunge stolpert, die sich ihm manchmal versehentlich über die Augen legt. Miguel selbst ist ein großes Gitarrentalent und bildet sich ein, der Ur-Ur-Ur-Urenkel eines berühmten mexikanischen Sängers zu sein, den er nun im Jenseits besuchen will.

Die beweglichen Knochenmänner- und Frauen inspirierten die Pixar-Macher zu endlosen Slapstick-Einfällen. Ein Skelett, dem vor Verblüffung die Kinnlade herunter fällt, sieht einfach lustig aus. Knochen werden aus dem Handgelenk geschüttelt und lose Köpfe lässig gerollt.

Doch Pixar wäre nicht mit Disney fusioniert, gäbe es nicht auch ein ergreifendes Plädoyer für die Familie: Der "Familie First!"-Slogan am Ende wird reichlich überstrapaziert, produziert aber auch schönste Momente der Rührseligkeit. Dann nämlich, wenn sich eine knapp hundert jährige Frau im Rollstuhl wieder an ihre Kindheit erinnern kann. Wie sich ihr verschrumpeltes, scheinbar lebloses Gesicht plötzlich aufzuhellen beginnt, ist höchste Pixar-Kunst.

Der Name der alten Dame ist übrigens Coco.

INFO: USA 2017. 109 Minuten. Von Lee Unkrich und Adrian Molina. Mit der Stimme von Heino Ferch.

KURIER-Wertung:

Mit Shakespeare hat William Oldroyds straffes Regiedebüt "Lady Macbeth" nur insofern zu tun, als es um blutige Machtergreifung innerhalb eines rigiden Regelsystems geht. Die junge Katherine wird an einen Gutsherren verheiratet und soll dort für Nachkommen sorgen. Das Zusammenleben mit dem desinteressierten Gatten und seinem brutalen Vater erweist sich als geisttötende Zumutung. Nachdem die Männer verreist sind, beginnt die junge Frau eine leidenschaftliche Affäre mit einem Stallburschen. Ihre sexuelle Revolution stellt die Machtverhältnisse auf den Kopf, setzt aber auch die notwendigen kriminellen Energien frei, um die neue Freiheit zu verteidigen. Immer wieder zieht es Katherine hinaus in eine unwegsame Natur, deren gleichgültige Erhabenheit mit den handelnden Figuren korrespondiert. In knappen, abgerissenen Szenen erzählt Oldroyd von einem Machtkampf jenseits moralischer Verbindlichkeiten. Seine Figuren bekommen kein Innenleben verpasst, sondern agieren entlang ihrer Triebstrukturen: Die wirken wie Naturgesetze, und die stärkste unter ihnen ist Florence Pugh als Lady Mcbeth.

INFO: GB 2016. 89 Min. Von William Oldroyd. Mit Florence Pugh, Cosmo Jarvis, Paul Hilton,

KURIER-Wertung:

"Coco": Im Reich der Totenköpfe
Florence Pugh befreit sich aus dem Korsett: „Lady Macbeth“

Man kennt das aus David Lynchs "Blue Velvet": In romantischer Zeitlupe entfaltet sich das beschauliche Leben in einem ländlichen Vorort. Gartenschlauchidylle und Blumenbeetpoesie. Doch wenn man genauer hinschaut, gähnen hinter die Abgründe hinter den Fassaden.

Ivette Löcker beginnt ihre umwerfende Doku über den Ort ihrer Kindheit mit ähnlich lyrischen Bildern: Bei strahlendem Sonnenschein mähen ihre Elten den Rasen und schneiden blühende Blumen. Doch kaum sitzen die Alten gemeinsam am Familientisch, bricht der offene Hass aus. Löckers Eltern bewohnen zwar ein freundliches Haus – doch was zuerst nach Rentnerglück aussieht, entpuppt sich bald als Pensionistenhölle im Ehegefängnis.

Was es bedeutet, dorthin zurück zu kehren und ein halbes Bauernhaus (mit Schimmel an der Wand) zu erben, erzählt die im Lungau geborene und in Berlin ansässige Regisseurin mit entwaffnender Schonungslosigkeit. Schmerzhafte Nähe und unüberwindliche Distanzen vermischen sich in ihrer Familienaufstellung zum vielgliedrigen Gefühlsgeflecht zwischen Komik und Trauer.

INFO: Österreich 2017. 102 Minuten. Von Ivette Löcker.

KURIER-Wertung:

"Coco": Im Reich der Totenköpfe
Vererbtes Haus mit Schimmel an der Wand: "Was uns bindet"

Spätestens seit "Brautalarm" haben Frauen bewiesen, dass nicht nur Männer im Stile der "Hangover"-Trilogie Saufen und Sex haben können. Mit "Girls Trip" zieht nun eine schwarze Frauengruppe vom Leder, die sich Flossy Posse nennt, New Orleans unsicher macht und in den USA für jubelnde Kritiken sorgte.

Vier Freundinnen – darunter die brave Jada Pinkett Smith und die resolute Queen Latifah – zelebrieren ein Girlfriend-Wochenende zwischen Alkhoholrausch, Drogenparty, Pinkel-Peinlichkeit und Rap-Star P. Diddy. Zotige Mädchensause wechselt mit sentimentalen Frauenfreundschaftsbeschwörungen ab: Erst kommt der Exzess, dann die Moral. Selten lustig.

INFO: USA 2017. 120 Min. Von Malcolm D. Lee. Mit Regina Hall, Queen Latifah, Jada Pinkett Smith.

KURIER-Wertung:

"Coco": Im Reich der Totenköpfe
Drogen im Hintern versteckt:  Tifanny Haddish in „Girls Trip“

Anne und Bob: Ein reiches US-Ehepaar, das einander in einer Nobelvilla in Paris langweilt. Bei den Vorbereitungen für ein Galadiner entdeckt Anne, die Gastgeberin, dass sich der Sohn aus der ersten Ehe ihres Gatten selbst dazu eingeladen hat. Noch dazu als 13. Gast! Die abergläubische Anne besteht nun darauf, dass ihre spanische Haushälterin Maria die Zahl der Gäste auf vierzehn erhöht. Anfangs ziert sich Maria, aber ein schickes Kleid und Schuhe aus der Garderobe der Gnädigen und mehrere Gläschen Wein über den Durst lockern sie auf. Mit schmutzigen Witzchen zieht sie das Aufsehen der Runde auf sich. Was Madame Anne und Maria aber nicht wissen: Bobs Sohn hat sich einen Spaß daraus gemacht, dem Sitznachbarn Marias, einem britischen Kunsthändler, zu flüstern, dass sie eine Verwandte des spanischen Königshauses sei, die nicht "enttarnt" werden wolle – worauf dieser mit der "rassigen Spanierin" zu flirten beginnt.

Diese Cinderella-Prämisse klingt vielversprechend, schafft aber nicht das Niveau einer wirklich guten Satire. Toni Collette und Harvey Keitel bringen zwar Star-Power ein. Aber man kann sich nur vorstellen, was Pedro Almodóvar aus diesem Stoff gemacht hätte – mit Penelope Cruz als Maria…

Test: Gabriele Flossmann

INFO: F 2017. 91 Min. Von Amanda Sthers. Mit Toni Collette, Rossy de Palma, Harvey Keitel.

KURIER-Wertung:

"Coco": Im Reich der Totenköpfe
Rossy de Palma (li.) und Toni Collette in "Madame"

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