Legende in Wien und Berlin: Theatermacher Claus Peymann (88) ist gestorben

++ ARCHIVBILD ++ REGISSEUR CLAUS PEYMANN 88-JÄHRIG GESTORBEN
Ein "Piefke", den die Wiener lieben lernten: Der norddeutsche Regisseur und Intendant war der verhassteste und populärste Burgtheaterdirektor zugleich. Nun starb er 88-jährig.

Der deutsche Theatermacher Claus Peymann, langjähriger Burgtheaterdirektor und späterer Direktor des Berliner Ensembles, ist tot. Er starb am Mittwoch im Alter von 88 Jahren in Berlin, wie die "Süddeutsche Zeitung" am Mittwochabend mit Verweis auf Peymanns familiäres Umfeld berichtet.

Als Claus Peymann 1999, nach 13 Jahren, als Burgtheaterdirektor abtrat, wurde er gefragt, inwiefern er die Österreicherinnen und Österreicher mit seinem Theater zu besseren Menschen gemacht habe. "Die Österreicher haben sich deutlich verbessert!", antwortete Peymann. "Ich glaube an eine subkutane, nicht unmittelbar messbare Verbesserung von Menschen durch die Gegenwart von Kunst."

Bemerkenswert an diesem Dialog ist nicht nur Peymanns selbstbewusste Antwort, sondern auch der Umstand, dass ihm die Frage überhaupt gestellt wurde. Peymann war vor allem deshalb der populärste Burgtheaterdirektor der Nachkriegszeit, weil er glaubhaft vermitteln konnte, dass Theater einen Sinn hat. 

Wie kein anderer hat Claus Peymann verstanden, dass es als regieführender Intendant nicht nur darum geht, Stücke zu inszenieren, sondern vor allem auch darum, ein ganzes Haus in Szene zu setzen. Und er wusste, dass man dafür eine gute Geschichte braucht. Was das Burgtheater betrifft, lautete diese Geschichte folgendermaßen: Unbequemer Deutscher übernimmt verstaubte Ösi-Institution und macht ein zeitgemäßes, aufregendes Theater daraus. Das war zwar ziemlich dick aufgetragen und stimmte nur teilweise – das Burgtheater war vor Peymann keineswegs so hinterwäldlerisch, wie er das darstellte –, aber es wirkte. Für viele, auch junge, Menschen war das Burgtheater auf einmal ein spannender Ort. Auch das neue Wahlabonnement oder die günstigen Studentenkarten  bauten Schwellenangst ab.

Hugo Lindinger und Traugott Buhre in "Der Theatermacher"

Mit Thomas Bernhards Komödie "Der Theatermacher" (im Bild: Hugo Lindinger und Traugott Buhre) eröffnete Peymann am 1. September 1986 seine Direktion am Burgtheater. 

Zwölfmal Bernhard

Zur Eröffnung seiner Direktion am 1. September 1986 setzte Peymann seine Inszenierung von Thomas Bernhards "Der Theatermacher" an. Nur Insider wussten, dass die Komödie um einen egomanischen Theaterprinzipal, der mit seiner Truppe durch die tiefste österreichische Provinz tingelt, im Kern eine große Parodie auf den Theaterfanatiker und Probentyrannen Peymann ist. Die Karriere des Regisseurs Claus Peymann war eng mit Bernhard verbunden: Zwölf seiner Stücke hat er zur Uraufführung gebracht, von "Ein Fest für Boris" (1970) bis "Heldenplatz" (1988).

"Heldenplatz", der Beitrag des Burgtheaters zum Gedenken an 50 Jahre "Anschluss", wurde zu einem der größten Skandale in der Geschichte des Hauses; vor dem Theater wurde eine Fuhre Mist abgeladen, unter den Störern auf dem Rang war auch der junge Heinz-Christian Strache. Aufregung hatte es auch ein halbes Jahr vorher gegeben, als in der Zeit ein furioses Peymann-Gespräch mit dem Star-Interviewer André Müller erschienen war, in dem er sich beinahe um Kopf und Kragen geredet hätte: "Wenn Sie wüssten, was für eine Scheiße ich hier erlebe! Man müsste dieses Theater von Christo verhüllen und abreißen lassen."

Geboren wurde Peymann 1937 als Klaus Eberhard Peymann in Bremen (zum Claus wurde er erst in der Schulzeit). Seine ersten Inszenierungen realisierte er beim Studententheater in Hamburg, die erste Leitungsfunktion übernahm er 1965 als Oberspielleiter im Frankfurter Theater am Turm, wo er u. a. Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ zur Uraufführung brachte (sechs weitere Handke-Uraufführungen sollten folgen). Als sich 1970 in Berlin die bald legendäre Schaubühne am Halleschen Ufer formierte, war Peymann Teil des sechsköpfigen Direktoriums; er konnte mit dem dort praktizierten Mitbestimmungsmodell aber nichts anfangen und war nach einem halben Jahr wieder weg. 

Als er in Stuttgart Intendant war (1974–1979), machte die "Zahnspendenaffäre" Schlagzeilen – Peymann hatte am schwarzen Brett einen Brief aufgehängt, in dem die Mutter von Gudrun Ensslin um Spenden für die Zahnbehandlung der in Stuttgart-Stammheim inhaftierten RAF-Terroristen bat. Danach machte er das Schauspielhaus Bochum (1979–1986) zur ersten Adresse des deutschen Theaters. 

19 Mal wurden Peymann-Inszenierungen für das Berliner Theatertreffen nominiert (nur Peter Zadek gelang das öfter), darunter sein Stuttgarter "Faust" oder, aus Bochum, "Nathan der Weise" und "Die Hermannsschlacht" – gedankenklare, bildstarke Aufführungen. In Wien wird er dennoch mehr als begnadeter Direktor in Erinnerung bleiben denn als Regie-Genie. 

Heldenplatz

Das Stück "Heldenplatz" war einer der größten Skandale in der Geschichte des Burgtheaters. Autor Thomas Bernhard (im Bild: beim Schlussapplaus mit Peymann) starb drei Monate nach der Premiere. 

Ein-Mann-Opposition

Das Theater, das Claus Peymann um sein Theater gemacht hat, war hier oft besser als das Theater, das er auf der Bühne gemacht hat. Und nirgends fand er dafür ein besseres Publikum als in Wien, wo man mit Theater noch provozieren kann. Peymann nahm das dankbar an, in seinen besten Jahren war er in Österreich eine Art außerparlamentarische Ein-Mann-Opposition. Wenn ihm in der Republik etwas missfiel, gab er ein Interview. Ganz normale Spielplan-Pressekonferenzen waren bei Peymann politischer als manches Ministerrats-Pressefoyer.

Einen lauten, angeberischen "Piefke" wie ihn sieht man in Wien eigentlich nicht gern – und Peymann war ja nicht nur der populärste Burgtheaterdirektor, sondern zumindest anfangs auch der verhassteste. Dass er sich letztlich doch durchgesetzt hat, hat mehrere Gründe.  Vor allem hat sich das Wiener Publikum in die tollen Schauspielerinnen und Schauspieler verliebt, die Peymann mitgebracht hatte, in Kirsten Dene, Gert Voss oder Martin Schwab. Und die Wiener haben gemerkt, dass Peymann zwar ein Großmaul, aber kein Selbstdarsteller ist. Es ging ihm tatsächlich ums Theater, also um alles.

46-60285483

Die Wiener haben gemerkt, dass Peymann zwar ein Großmaul, aber kein Selbstdarsteller ist. Es ging ihm tatsächlich ums Theater, also um alles.

Auf 13 Jahre Burgtheater folgten 18 Jahre Berliner Ensemble, aber mit der Wiener Zeit kann man das nicht vergleichen. In Berlin war Peymann nicht annährend  so wichtig wie in Wien. Nachdem er 2017 seine letzte Intendanz beendet hatte, wohnte er zwar weiter in Berlin, seine letzten Inszenierungen aber realisierte er in Wien: "Die Stühle" am Akademietheater, "Der König stirbt" in den Kammerspielen, "Warten auf Godot" in der Josefstadt – die Klassiker des absurden Theaters waren für ihn "die einzige Möglichkeit, auf unsere Gegenwart zu reagieren", wie er im KURIER sagte. 

Eine in den Kammerspielen für Februar 2025 angekündigte Inszenierung kam nicht mehr zustande. Nun ist der unheilbare Theaterfanatiker Claus Peymann nach langer Krankheit gestorben.

Kommentare