Christophe Slagmuylder: „,Friede auf Erden‘ passt da sehr gut“
Heute, Freitag, werden die Wiener Festwochen eröffnet – mit einer spektakulären, von Regisseur David Schalko konzipierten Show auf dem Rathausplatz. Am Wochenende folgen etliche Premieren und Uraufführungen, zudem öffnet das (temporäre) „Österreichische Museum für schwarze Unterhaltung und Black Music“ seine Pforten – im Belvedere 21. Intendant Christophe Slagmuylder verteidigt im Interview den Auftritt des Rappers Yung Hurn.
KURIER: Als „Prolog“ brachten Sie Anfang April das „Requiem“ in einer Umsetzung von Romeo Castellucci. Gerüchteweise soll die Premierenfeier eine Corona-Party gewesen sein. Auch Sie hätten sich dort angesteckt.
Christophe Slagmuylder: Ich weiß davon nichts. Es stimmt, ich hatte Corona, aber erst drei Tage nach der letzten Vorstellung von „Requiem“.
Man sagt, Sie seien mit Symptomen ins Büro gekommen und nach Brüssel geflogen.
Das stimmt nicht. Als ich positiv getestet wurde, bin ich gleich in Quarantäne gegangen. Wie kommt es zu solchen Gerüchten?
Weil die Stimmung bei den Festwochen nicht so gut ist? Ende April hat die Pressesprecherin gekündigt …
Nein, die Stimmung im Team ist gut. Mir gegenüber hat sie persönliche Gründe angegeben. Wir kennen doch viele Geschichten von Post-Pandemie-Reaktionen: Prioritäten haben sich geändert, man geht andere Wege. Natürlich ist der Zeitpunkt nicht ideal, aber ich respektiere ihre Entscheidung.
Die Festwochen stehen für Diversität, Inklusion und so weiter. Warum gibt man dem sexistischen Rapper Yung Hurn, der das Koksen verherrlicht, eine Bühne?
Das Narrativ von David Schalko ist „Last Night on Earth“, es gibt viele Gäste, darunter Caroline Peters und Sofia Jernberg, die letztes Jahr in Arnold Schönbergs „Pierrot lunaire“ mitwirkte. Yung Hurn spielt in der Dramaturgie nur eine Rolle, eingebettet in einem größeren Kontext. Das ist für mich okay. Wir versuchen mit der Eröffnung Brücken zu schlagen – auch zu jüngeren Generationen. Daher ist die Band Bilderbuch Teil der Inszenierung. Und eben Yung Hurn, der mit der Wiener Singakademie auf der Bühne steht.
Kennen Sie seine Songtexte?
Ja, teilweise. Ich würde sie im Kontext der HipHop-Kultur lesen. Haben Sie im vergangenen Jahr „Catarina e a beleza de matar“ von Tiago Rodrigues gesehen? Da gab es eine faschistische Wahlkampfrede. Ich teile die Inhalte nicht, aber trotzdem haben wir diese herausragende Produktion gezeigt. Ich habe daher auch kein Problem mit Yung Hurn. Und der ORF, der die Eröffnung überträgt, hat auch keines.
Im Zentrum Ihres Programms steht die Stimme …
Und der Chor. Der Chor ist für mich ein wegweisendes Modell für eine Gesellschaft, es geht zum Beispiel um Harmonie und um das Teilen. In diesem Zusammenhang sind mir mehrere Produktionen wichtig, darunter neben „Requiem“ auch „t u m u l u s“ von François Chaignaud und Geoffroy Jourdain, zudem „Friede auf Erden“ von Ulla von Brandenburg mit Liedern von Arnold Schönberg. Hinzu kommen „Einstein on the Beach“ von Philip Glass in einer Inszenierung von Susanne Kennedy und das Projekt „Hymns and Laments One“ von Sofia Jernberg – ihre Stimme ist unglaublich!
Sie haben die Festwochen in Zeiten der Pandemie konzipiert – und nun finden sie in der Zeit des Krieges statt. Wurden Sie überrascht?
Ja, das Programm war fertig, als der Krieg ausbrach. Aber wir befanden uns in einer Krise, eben in der Pandemie, und wir befinden uns in einer Krise, auch in einer Klima-Krise. Und ja, der Krieg ist nicht weit weg. „Friede auf Erden“ von Arnold Schönberg passt da sehr gut.
War es Zufall, dass es keine russischen Künstler gibt?
Ja. Auch keine Künstler aus der Ukraine. Aufgrund der Pandemie konnte ich weniger reisen – und viel weniger Produktionen anschauen. Daher konzentriert sich das Programm auf Künstler aus dem westlichen Europa. Es sind mir zu viele Produktionen aus Europa, es sollte viel internationaler sein.
Wie wird es im nächsten Jahr weitergehen?
Es wird mehr Kooperationen mit Häusern in Wien geben – zum Beispiel machen wir zusammen mit dem Theater an der Wien die Oper „Lulu“. Das ist eine ziemliche Herausforderung. Natürlich wird es weiterhin eine gewisse Unsicherheit wegen der Pandemie geben, aber wir haben gelernt, mit ihr umzugehen. Also zum Beispiel, indem wir schnell regieren. Unser Auftrag ist es, ein Festival zu organisieren und den Künstlern eine Plattform zu geben.
Letztes Jahr gab es quasi zwei Teile, die Festwochen wurden zu Festmonaten.
Wir haben das Beste aus der Situation gemacht. Es wäre falsch gewesen, auf bessere Zeiten zu warten.
Heuer gibt es zumindest keine Sitzplatzbeschränkungen – und auch keine Maskenpflicht.
Ja, es ist schon sehr angenehm, nicht andauernd neue Lösungen finden zu müssen. Es gibt einen ganz anderen Spirit. Aber insgesamt ist es nicht viel einfacher.
Weil das Publikum zögert? Das Burgtheater kommt auf eine Auslastung von 61 Prozent, das Volkstheater auf gar nur 47 Prozent…
Unsere Vorverkaufszahlen sind nicht schlecht. Das hat auch mit „Requiem“ zu tun: Die Aufführungen waren eine tolle Werbung für unser Programm. Aber natürlich: Nicht alle Produktionen verkaufen sich gut. Das Publikum lässt sich generell länger Zeit, bis es Karten kauft.
Ausverkauft ist wohl „Der Kirschgarten“ von Tiago Rodrigues mit Isabelle Huppert?
Nicht einmal er! Aber ja, die glamourösen Namen ziehen natürlich. Ausverkauft ist zum Beispiel „Friede auf Erden“, sehr gut läuft „Einstein on the Beach“. Ich mache mir keine Sorgen.
Sie sind drei Jahre Intendant. Werden Sie sich um eine Vertragsverlängerung bemühen?
Meine erste Festivalausgabe musste ich binnen weniger Monate realisieren: Ich kam im September – und im Dezember musste das Programm stehen. Dann kam die Pandemie. Ich konnte daher nur einen Teil von dem, was ich mir vorgenommen hatte, umsetzen. Daher habe ich die Tendenz, weitermachen zu wollen.
Was haben Sie sich vorgenommen?
Den Wiener Festwochen eine neue Identität zu geben – zum Beispiel als produzierendes Festival. Es soll nicht nur Gastspiele, sondern auch vermehrt Eigenproduktionen geben. Oder Vielfalt und Interdisziplinarität. Große Projekte – und kleine, im Zentrum und in den Bezirken, Kooperationen mit verschiedenen Gruppen und Häusern, etwa mit der Volksoper oder dem Weltmuseum. Ich sage immer: Excellence – und Experiment.
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