In Mutters Suppe wurde geschrieben und gelesen
Wird noch fleißig Suppe gekocht, Buchstabensuppe? Christoph Ransmayrs Mutter kaufte Ende der 1950er-Jahre – man lebte in der Gegend um Gmunden – für ihre vier Kinder einmal im Monat einen großen Sack dieser Teigwaren.
Oft ließ er die Suppe kalt werden.
Denn im Suppenozean lernte Christoph Ransmayr schreiben und lesen, bevor er in die Schule kam.
Er schrieb – daran erinnert er sich gut – das Wort MEER. Und bannte erstmals, was an den Küsten brandet und Schiffe fortträgt, mit vier Buchstaben aus Teig. So mächtig ist Sprache.
... und dann war da noch Christoph Ransmayrs erste Lehrerin. Sie starb mit 60, und er hielt ihr die Hand. Fast entschwunden, legte sie wortlos ihren Zeigefinger auf die Lippen: Still. Sei still.
Kann ja durchaus sein, dass beide Erlebnisse Christoph Ransmayrs Literatur früh formten.
Sein leises Erzählen.
Seine Abenteuer zum Innehalten.
Zu den Sternen
Nach den Reisen im "Atlas eines ängstlichen Mannes" (2012), die zu Mönchen im Himalaja, auf die Osterinseln, zu den Sternen und vor allem zu sich selbst führen, ist wieder Zeit für kleine Prosa – für eine seiner "Spielformen des Erzählens". Zehn davon gibt es schon.
Etwa "Damen und Herren unter Wasser", da hat Ransmayr sieben Fischen eine menschliche Vergangenheit angedichtet.
Der Riffkalmar war einst Museumswärter und hieß Herr Blueher.
Oder die Spielform des Schreibduetts mit Martin Pollack (siehe oben) über das Grenzgebiet Polen/Ukraine und falsche Helden.
Jetzt "Gerede".
Elf Ansprachen, die der in Wien lebende Oberösterreicher bei Preisverleihungen gehalten hat, einige auch im kleinen Kreis.
Und weil’s gerade beim biografischen Nachblättern ins Auge springt: 60 wird er am 20. März.
Singende Flüche
Begnügt sich eine Rede nicht damit, bloß "Danke" zu sagen, sondern begibt sich ins pralle Leben mit Ängsten und Hoffnungen, dann gehört sie zu den Erzählungen.
Das will uns Ransmayr sagen und beweist. wie schön sich "bloßes Gerede" entfalten kann.
Es ist Platz für die erwähnte Buchstabensuppe und für die Stille, für eine irischen Fischer, der seinen kaputten Kühlschrank beschimpft – und zwar singend, er singt seine Flüche!
Und Platz für eine Frau auf einem Bild des Pressefotografen Lothar Rübelt (1901 –1990), über die der Dichter nichts in Erfahrung bringen kann, nur den Namen, und das reicht ihm völlig für eine kurze Geschichte:
Sarah Rotblatt.
Was nicht heißt, dass sich Ransmayr beim Reden davonschleicht und schwebt. Er ist immer auch hier und jetzt und mitten drinnen.
Ein Zitat: "Möglicherweise rauschen Zeiten auf uns zu, in denen die Empörung über empörende Verhältnisse weder von korrupten, von Lobbyisten unterwanderten Parlamenten zu besänftigen sein wird noch mit dem leeren Stroh von Wahlversprechen ..."
KURIER-Wertung:
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