"Charlie Hebdo": Der neue Zensor lauert in uns selbst

"Je suis Charlie" - Wandmalerei um die Ecke der Redaktion in Paris. Vor fünf Jahren erschossen dort Islamisten zehn Menschen.
Die französische Satirezeitschrift warnt fünf Jahre nach dem blutigen Anschlag vor "neuem Moralismus".

Wie ist das, wenn der Terror die halbe Redaktion auslöscht? Das französische Satiremagazin Charlie Hebdo kann davon traurigerweise berichten. Gestern vor fünf Jahren marschieren zwei islamistische Attentäter in die Räumlichkeiten der Pariser Institution und schossen mit automatischen Waffen um sich. Zehn Menschen starben am Ort, darunter Herausgeber Stéphane Charbonnier und dessen Personenschützer. Der Beamte war von der Pariser Polizei abgestellt worden, nachdem die Zeitschrift wiederholt Witze und Karikaturen über den Propheten Mohammed gebracht hatte. Es half leider nichts und kostete auch ihm das Leben. Weitere Todesopfer folgten.

„Je suis Charlie“ lautete die Solidaritätsbekundung, die weit über Frankreichs Grenzen zu lesen war. Und heute?

Privat statt Staat

Zum fünften Jahrestag warnt Charlie Hebdo uns bezeichnenderweise vor uns selbst: Wir beschneiden unsere eigene Freiheit per Internet-Schnellgericht auf Twitter und Co., so die Botschaft: Zensur gehe heutzutage nicht mehr vom Staat aus, sondern sei privatisiert worden, sagte Herausgeber und Karikaturist Laurent Sourisseau (alias „Riss“) am Dienstag in einem Interview mit dem Sender Franceinfo. „Wir haben es mit einem neuen Moralismus zu tun“, so Riss.

Das Magazin erschien am Jahrestag des Anschlags mit einer Titelseite, die einen Karikaturisten zeigt, dessen Arme und Zunge von einem überdimensionalen Smartphone flach gedrückt werden und ihn damit an der Arbeit hindern. Auf dem Handydisplay sind Apps wie Twitter und Facebook zu sehen.

Für die Satirezeitschrift, die sich stets dem Kampf gegen sogenannte politische Korrektheit gewidmet hatte, ist das ein wenig überraschendes Anliegen. Nicht erst seit dem blutigen Massaker in den Charlie Hebdo-Räumlichkeiten galt das Heft als Bollwerk der publizistischen Freiheit, was religiöse Extremisten regelmäßig auf den Plan rief. Die dem Magazin immer wieder unterstellte Islamfeindlichkeit ließ sich zumindest statistisch nicht nachweisen: Laut einer Analyse der Zeitung Le Monde hat sich Charlie Hebdo öfters über Politiker oder Katholiken mokiert als über Moslems.

"Charlie Hebdo": Der neue Zensor lauert in uns selbst

Das aktuelle Cover von "Charlie Hebdo".

Gedenken

Der gestrige Dienstag stand aber vor allem im Zeichen des Gedenkens an den Anschlag auf die Redaktion, der der Auftakt für eine blutige Terrorserie sein sollte. „Wir haben die Angst überwunden, die sie versucht haben, uns zuzufügen“, so Riss am Dienstag. Der Anschlag sei ein politisches Verbrechen gewesen, das diese Art von Humor verschwinden lassen sollte. Auf lange Sicht hätten die Terroristen aber verloren, sagte Riss.

Am Dienstag gab es mehrere Gedenkveranstaltungen für die Toten des Anschlags. Vor den ehemaligen Redaktionsräumen von Charlie Hebdo in der Pariser Rue Nicolas-Appert wurde eine Schweigeminute abgehalten. An dem Gedenken nahm neben der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo auch Frankreichs Innenminister Christophe Castaner teil.

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