Cecilia Bartoli: "Verzeihen ist leider nicht in den Genen"
Einer der größten Opernstars unserer Zeit im KURIER-Gespräch. Im Juli ist Bartoli in Wien zu hören, ab August wieder in Salzburg.
KURIER: Sie haben zuletzt bei den Pfingstfestspielen einen großen Erfolg mit Mozarts „La clemenza di Tito“ gefeiert, die Produktion ist auch bei den Sommerfestspielen zu sehen. Sie selbst haben dabei als Sesto debütiert . . .
Cecilia Bartoli: . . . ja, nach 38 Jahren Karriere ein solches Debüt, das hat mich sehr gefreut.
Warum haben Sie diese Traumrolle nicht schon viel früher gesungen?
Wir haben vor vielen Jahren eine Aufnahme von „Clemenza“ gemacht. Aber ich hatte nie die Chance, diese Partie auf einer Bühne zu singen. Als ich ganz jung war, wollten mich die Regisseure immer sehr weiblich inszenieren, nicht in einer Hosenrolle. Eine schöne Italienerin muss eine Frau singen, haben sie offenbar gedacht. Aber nach und nach kamen Travestie-Rollen dazu, etwa Cherubino. Aber zu Sesto kam es nie.
Regisseur Robert Carsen interpretiert die Oper sehr zeitgemäß und zeigt den Sturm auf das Kapitol in Washington durch die Trump-Fans. Wie politisch aktuell sollen aus Ihrer Sicht Operninszenierungen sein?
„La clemenza di Tito“ ist ein hochpolitisches Stück, mit Intrigen, Mord, familiären Tragödien und persönlicher Zurückweisung, mit tiefer Freundschaft zwischen Titus und Sesto, der das Attentat auf den Kaiser nicht wirklich begehen will. Das muss man politisch inszenieren, und das ist Carsen perfekt gelungen. Auch die Botschaft der Clemenza, der Milde, dass Titus seinem Freund letztlich verzeiht, ist heute so wichtig.
Hat ein milder Herrscher in der heutigen Welt Platz?
Ich weiß, es ist ein utopischer Gedanke, aber gerade heute bräuchten wir das dringend. Einflussreiche Leute, die Milde walten lassen. Aber Verzeihen ist leider nicht in den Genen der Menschen.
Sind Oper und die Kunst generell mit solchen Botschaften in unserer Zeit vielleicht noch wichtiger als sonst?
Auf alle Fälle. Oper und Kunst können aufzeigen, was in unserer Gesellschaft passiert. Und wie man Dinge verbessern kann. Es sind perfekte Mittel, um Leute zum Reflektieren zu bringen.
Sie sind nicht nur künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele, sondern auch Intendantin der Oper in Monte-Carlo. Dort spielen Sie in der kommenden Saison auch „Tito“, allerdings nicht in der Produktion von Robert Carsen. Warum?
Die Monte-Carlo-Oper ist wunderschön, aber die Bühne ist zu klein dafür. Das Haus ist wie eine kleine Opéra Garnier von Paris.
Aber Sie spielen in diesem kleinen Opernhaus noch eine andere große Oper, die man dort nicht erwarten würde: „Rheingold“ von Richard Wagner.
Wir wollen Wagner auf historischen Instrumenten spielen, das hat es szenisch noch nie gegeben. Davide Livermore wird Regie führen, mit einer spektakulären Visualisierung auf großer Leinwand, ähnlich wie bei Händels „Giulio Cesare“ im Juli an der Staatsoper. Diese Kombination aus moderner Technologie auf der Bühne und historischen Instrumenten kann sehr spannend werden.
Sie zeigen in Monte-Carlo auch viel Puccini, anlässlich des 100. Todestages des Komponisten, singen da selbst aber nicht. Sie haben in Ihrer Karriere überhaupt nur zwei kleine Puccini-Rollen gesungen, den Hirten in „Tosca“ und den Musico in „Manon Lescaut“ – warum?
Für Puccini braucht man ein anderes Instrument, als ich es habe. Man muss immer wissen, was zu einer Stimme passt, das ist vielleicht der Grund, warum ich schon so lange singe. Jeder Sänger hat sein Instrument, aber nicht viele wissen, wie sie damit umgehen sollen. Und wie man es beschützt. Beim Sport ist es relativ klar, was der Körper kann und was nicht. Dazu kommt natürlich das Training. Und so kann man manchmal ans Limit gehen, aber nicht andauernd. Ich freue mich jedenfalls, dass ich Sänger, die perfekte Stimmen für Puccini haben, einladen kann. Wir spielen die Oper „La Rondine“, die in Monte-Carlo uraufgeführt wurde, dazu „Tosca“ und „Bohéme“.
Dafür holen Sie Jonas Kaufmann, Anna Netrebko, Pretty Yende, Roberto Alagna etc.. Warum kommen all diese Stars so gern nach Monte-Carlo? Wegen der persönlichen Kontakte zu Ihnen?
Schon Caruso kam gerne nach Monte-Carlo. Und viele andere große Sänger. Er ist schön, diese Atmosphäre wieder zu kreieren, die es damals gab. Dieses Haus hat eine so reiche Geschichte. Es wurde auch Ravels „L’enfant et les sortilèges“ dort uraufgeführt wurde, das werden wir kommende Saison auch spielen.
Ihr Kollege Kaufmann wird künftig auch als Intendant tätig sein, in Erl. Wie sehen Sie diese Entscheidung?
Eine Persönlichkeit wie Jonas, mit einer solchen Karriere, ist so wichtig für ein Opernhaus. Man braucht an der Spitze Leute mit musikalischem Wissen. Ich bin immer wieder überrascht, dass es Menschen gibt, die ein Opernhaus leiten und so wenig über die Musik wissen.
Aber ist so ein Job für einen Künstler nicht total langweilig, wenn man sich um jede Kleinigkeit kümmern muss?
Ganz im Gegenteil. Man kann große Künstler zusammenbringen und Spannendes programmieren. Ich bin sicher, Jonas wird das auch lieben.
Können Sie sich vorstellen, in einigen Jahren auch ein richtig großes Repertoiretheater zu leiten?
Ein Repertoirehaus ist natürlich schwieriger, das würde bedeuten, dass ich aufhören müsste zu singen. Vielleicht in zehn Jahren, wer weiß, was dann ist. Ich kann auch nicht sagen, ob ich später einmal die Energie dafür habe. Es ist jedenfalls ein Privileg, das Pfingstfestival in Salzburg leiten zu dürfen, ich habe dort in den vergangenen zwölf Jahren so viel gelernt. Salzburg ist ein echtes Juwel. Nur dadurch konnte ich auch die Leitung in Monte-Carlo akzeptieren.
Im Juli kommen Sie nach Wien an die Staatsoper und singen die Cleopatra in Händels „Giulio Cesare in Egitto“, dazu gibt es eine Farinelli-Gala und ein neues Werk namens „Their Masters’s Voice“ mit John Malkovich.
Nach Wien in die Staatsoper zu kommen, ist ein Traum, der wieder wahr wird. Vor zwei Jahren waren wir zum ersten Mal da, mit meinem besten Freund Rossini, die Begeisterung der Menschen zu spüren, war unglaublich. Jetzt kommen wir mit Barockmusik zurück, Gianluca Capuano dirigiert und Davide Livermore inszeniert „Giulio Cesare“. Das ist eine fantastische Produktion, mit einer Nil-Kreuzfahrt und einer Atmosphäre wie bei Agatha Christie.
Und wie war die Arbeit mit Malkovich für „Their Master’s Voice“, ein Genderduell über die Zeit der Kastraten und die Geschichte der Barockmusik, das Michael Sturminger inszeniert?
Absolut großartig. John ist in der Lage, eine Spannung zu erzeugen, ohne auch nur ein Wort zu sprechen. Das können nur die Größten. Wenn man als Sängerin jemandem wie ihm zuschaut, denkt man sich: O mein Gott, das ist Schauspiel.
Noch eine Frage an Sie als Italienerin: Wie sehen Sie die Ablöse von Dominique Meyer an der Mailänder Scala, wo von der Rechtsregierung mit Fortunato Ortombina wieder ein Italiener als Intendant eingesetzt wurde, in einer Übergangsphase gemeinsam mit Meyer?
Obwohl ich Italienerin bin, bin ich in Italien vielleicht am seltensten aufgetreten, ich habe da nicht so viel Einblick. Aber ich kenne kein anderes Theater mit zwei Intendanten gleichzeitig. Wir diskutieren immer über finanzielle Probleme, aber wenn das möglich ist, kann es um die Zukunft der Oper nicht so schlecht bestellt sein.
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