La Bartoli, auf der Bühne eine Meisterin der Selbstentäußerung, hat eine Hand dafür, auch Oper aktuell und ansehnlich auf die Bühne zu bringen. Mozarts spätes Werk ließ sie vom „Jedermann“-Regisseur Robert Carsen inszenieren. Der verlegt die Geschichte des antiken römischen Herrschers ins Capitol der heutigen italienischen Hauptstadt. Gideon Daveys Bühne ist ein modernes Regierungsgebäude, das sich mit wenig Aufwand in einen Sitzungssaal, samt Tribüne und das Büro des Machthabers verwandeln lässt.
Realer Sturm aufs Kapitol
Sesto verübt im Auftrag von Vitellia, die selbst an die Macht kommen will, einen Anschlag auf Titus. Der ist mit Projektionen des realen Sturms aufs Washingtoner Kapitol aus dem Jahr 2021 bebildert. Titus überlebt, lässt seine Milde walten, vergibt seinem ehemaligen Vertrauten Sesto und wird - anders als bei Mozart - am Ende Opfer des nächsten Anschlags. Carsen führt mit präziser Personenführung die Mechanismen von Machtgier vor.
Sesto, im Original eine Hosenrolle, ist bei Carsen eine Frau, die einer anderen Frau, nämlich Vitellia, im besten Wortsinne hörig ist. Dieser sind alle Mittel Recht, um an die Macht zu kommen, denn sie behauptet, dass sie ein Recht auf den Thron hat, vom dem Titus ihren Vater verdrängt hat. Weil aber Titus zunächst eine andere heiraten will, plant sie seinen Sturz. Neben der energetischen Bartoli, ist Daniel Behle eine Glanzbesetzung für den Titus. Ein Mozart-Tenor mit Schmelz, silbrig schimmernden Timbre und sympathischer Bühnenpräsenz.
Alexandra Marcellier zeigt Vitellia als Look-a-Like von Giorgia Meloni. Ohne Rücksicht, ob ihr Sopran schön klingt, keift sie los, wenn es der Rolle dient und setzt wie unter Dauerstrom auf ein Höchstmaß an Expressivität. Ildebrando D’Arcangelo zeigt einen abgründigen Publio. Betörend Mélissa Petit als Servilia und Anna Tetruashvili als Annio. Gianluca Capuano führt den Chor Il Canto di Orfeo und sein Orchester Les Musiciens du Prince — Monaco mit Verve, setzt auf Transparenz und Rasanz. Zusätzliche Pointen generiert er bei der Begleitung der Rezitative. Kaum hörbare, nicht nachvollziehbare Einwände gegen die Regie werden von Ovationen übertönt.
KURIER-Wertung: 4 1/2 Sterne
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